Die Wahrheit: Boris und die Briten
Es wird eng für die Engländer: Denn bald ist es so weit. Bald kommt der blonde Exzentriker in die Downing Street und macht Britain great again.
D emnächst bekommen die Briten einen neuen Premierminister. Er wird Boris Johnson heißen. Sie haben ihn verdient. Max Hastings, Johnsons früherer Chef beim Daily Telegraph, bezeichnete das als „geschmacklosen Witz“. Johnson interessiere sich für nichts außer für sich selbst, meint Hastings. Man stehe vor dem gleichen Experiment mit einem Entertainer als Regierungschef wie in der Ukraine oder in den USA.
Aber als Anführer eines Volkes von Exzentrikern ist Johnson gut, sogar sehr gut geeignet, denn er ist selber einer. Die Briten seien genauso rätselhaft wie bezaubernd, schrieb ein Zugereister einmal. Welches Volk legt das Badezimmer schon mit Teppich aus? Mischbatterien sind hingegen unbekannt. Wer sich die Hände waschen will, steht vor der Entscheidung, ob er sie sich lieber verbrühen oder abfrieren soll.
Im Ausland bezeichnet man das Land als Großbritannien, während sie zu Hause meist „Britain“ schreiben, weil jeder ohnehin wisse, dass Britannien great sei. Stets kommt auch das Wetter zur Sprache. Ein Tourist wunderte sich: „Wenn man das Wetter in England und in Australien betrachtet, käme kein normaler Mensch auf die Idee, verurteilte Straftäter nach Australien zu verbannen.“
Das gilt auch für das Essen. Die Briten pressen gern alles Mögliche zwischen zwei getoastete oder ungetoastete Weißbrotscheiben – Erbspüree, gebackene Bohnen oder Pommes frites, Fischstäbchen, fetten Speck oder Kartoffelchips – und halten es für eine Delikatesse. Dazu ein warmes Bier.
Ey, sorry, Alter, ey
Höflich sind sie immer. Wenn ihm jemand auf den Fuß tritt, entschuldigt sich der Brite. Selbst wenn er jemanden beschimpft, leitet er die Tirade mit dem Wort „Sorry“ ein und beendet sie auch damit: „Sorry, aber du bist ein Arschloch. Sorry.“
Es gibt in England 467 Menschen, die eine Fremdsprache beherrschen. Wenn der Brite verreist, erwartet er, dass die Einheimischen Englisch sprechen. Trifft er dagegen in seinem Heimatland einen ausländischen Touristen, der kein Englisch versteht, hält er ihn für respektlos gegenüber dem Gastland.
Dabei hat seine Lieblingslektüre, das Kampfblatt Daily Mail, ebenfalls Schwierigkeiten mit der englischen Sprache. Die Artikel enthalten verblüffende Variationen von grammatischen und orthografischen Fehlern, vom hanebüchenen Inhalt ganz zu schweigen.
Schurke oder Schlitzohr
Täglich gibt es neue Meldungen über ausländische Lebensmittel, die Krebs verursachen, von Immigranten, die das Land ruinieren, und von der fremdländischen Unterhaltungsindustrie, die britische Kinder verdirbt. Hinzu kommen noch diverse andere fremdenfeindliche Artikel.
Womit wir wieder bei Boris Johnson wären. „Man kann darüber streiten, ob er ein Schurke ist oder nur ein Schlitzohr“, schrieb Max Hastings, „aber jedenfalls ist er moralisch bankrott und hat für die Wahrheit nur Verachtung übrig.“ Damit ist er der perfekte britische Premierminister.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch