Die Wahrheit: Der große Schlaf
War Raymond Chandler Terrorist? Und war Suzanne Vega mit Alan Vega verwandt? Diese und andere Fragen werden hier auch nicht beantwortet.
N eulich habe ich zehn Stunden geschlafen. Wie früher. Ich war recht früh eingeschlafen, gegen elf, und erst zu relativ normaler Zeit wieder aufgewacht, nämlich um neun. Als ich aufstand und mich pudelwohl und wie neugeboren fühlte, war klar: Ich würde umsatteln. Mich beruflich umorientieren. Ich würde Schläfer werden.
Schließlich hatte ich kurz vorher gelesen, dass die deutsche Edelfirma Siemens Schläferfirmen gegründet hatte. Geschäftszweck: unbekannt. Die Aktionäre sollten den neuen Vorratsgesellschaften trotzdem zustimmen, hieß es. Unter der Dusche stellte ich mir künftige Partydialoge vor: Und was machst du beruflich? Ich arbeite bei Siemens, in einer Vorratsgesellschaft. Als Schläfer. Aha, und was macht man da so? Na, schlafen. Bis der Einsatzbefehl kommt. Wie bei Attentätern.
Geschlafen habe ich immer schon gern. Hochschlafen fiel mir etwas schwer, nach unten schlafen ging leichter, aber meist blieb ich auf einer Ebene. Besonders gut schlafen konnte ich als Teenager, aber glaubt man den Mainstream-Medien, war das gar nichts Besonderes. Irgendein Hormon war zu dieser Phase des Lebens aktiver als zu anderen Phasen, was dazu führte, dass sich der Biorhythmus so verschob, dass – ja, gähn, ich weiß.
An der Amalfiküste hatte ich mich einmal als Mystery Customer verdingt, das war auch ein guter Job gewesen. Ein Mystery Customer ist ein verdeckt agierender Testkunde, der im Einzelhandel, im Restaurant und im Hotel arbeitet. Er fungiert als Tourist und schreibt Bewertungen. Leider keine Beschäftigung für immer, da man entweder irgendwann auffällt oder aus Sicherheitsgründen schnell wieder abgezogen wird vom Auftraggeber. Oder, dritter, moderner Grund, er wird sukzessive durch Portale wie Yelp und TripAdvisor ersetzt. Da ist der Mystery Customer gläsern, da arbeitet der Testkunde unentgeltlich.
His name was Luca
In Amalfi jedenfalls lernte ich Luca kennen, der in einem gut geführten Hotel als Best Boy arbeitete. Auf meine Frage, ob er denn „On the second floor“ lebte, wusste er keine Antwort. Er sollte das mal bei Suzanne Vega nachhören, lachte ich.
Ich reiste allein, wurde aber stets in ein Doppelzimmer gebucht. Ich beklagte mich bei Luca über die steinharte Matratze und den ständigen Lärm der Hunde aus den einsamen Landhäusern in den Bergen oberhalb des Hotels, an Schlaf war da irgendwie nicht zu denken. Er lachte nur und sagte: „Wer nicht schlafen kann, der will nicht träumen.“ Dann fügte er an, dass reich sein, nicht bedeutete, Geld zu haben. Reich sein bedeutete, ausschlafen zu können. Als Teenager waren wir reich, sagt er.
Zehn Stunden, vierzehn Stunden, kein Problem. Auch wenn Mama genervt hat. Wir konnten schlafen. Heute können wir das nicht mehr, weil wir aufstehen und arbeiten müssen. Aber das Leben ist nicht für die Arbeit gemacht, sagte er. Es sei denn, man macht seinen Traum zum Beruf. Und wird eben Schläfer. Ich arbeite daran.
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