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Die WahrheitIm Wasser die Augen

Die coole Wahrheit-Sommer-Stoy: Wenn Gesprächsfäden mäandern und Schläfrigkeit zum Ziel führt, dann ist Angeln angesagt.

Illustration: Ari Plikat

„Wenn du nichts fängst, ist es ein Schneidertag“, sagt Björn, beeindruckend fachmännisch gewandet, auf der Fahrt in eine Gegend, die der bei Sinnen gebliebene Frankfurter in der Regel strikt meidet: die Diffusgemarkungen Griesheim und Nied, durch die leider der schöne Fluss Nidda zuckeln muss, weil die Natur einst einen Augenblick lang nicht aufgepasst hat.

Die Nidda ist auf langen Abschnitten so beschaulich wie ein Abwasserkanal im Ruhrgebiet, gnadenlos begradigt, durch Wehre gepeinigt und am Wochenende von teuflischem Jung­eventvolk belagert, das meint, es sei ein hinreichender Daseinsbeweis, die Mitwelt mit einer Bumsmusik zu beschallen, die Goebbels gutgeheißen hätte.

Wir haben vom Angeln weniger Ahnung als von der Relativitätstheorie, doch der gute Mann nimmt uns Trottel mit. Er neigt stark zur unaufdringlichen Menschenfreundlichkeit und instruiert uns deshalb lediglich dergestalt, dass eine Unterhaltung ab und an durchaus im Bereich des Möglichen liege, am Ufer herumzulatschen indes verschrecke die Fische, die er zu schnappen gedenke.

Wir sind eh eher fürs Rumsitzen, insofern geht das eins a klar. Björn zieht eine hochprofessionelle Sitzkiepe mit Rädern und etwa hundert Schubladen und Fächern hinter sich her, und dann öffnet sich linker Hand plötzlich der Blick auf einen moosig-metallen oszillierenden, großen Weiher, den Grill’schen Altarm.

Frau C. und ich gehorchen Freund Björn, breiten eine braune Decke aus und legen uns hin. So geht das Mitangeln. Frau C. schläft erst mal ein.

Da drüben, am Rande einer kleinen Insel, steht ein Graureiher herum, wie nur Graureiher herumstehen. Unermüdlich steht er. Dann steht er noch etwas mehr.

Björn klaubt lebende Maden aus einer Dose. Er habe sie mit Rakı versorgt, erklärt er, Friedfische stünden auf Maden in Anisdip, und es sei ein Frage von Minuten, bis er einen am Haken habe, der müsse daraufhin als Köderfisch dienen, um einen verdammten Hecht anzulocken, Hecht schmecke besonders fein.

Frau C. schläft gut. Ich blättere in einer Fischbestimmungsbroschüre der Zeitschrift Blinker. Über uns im Baum knattert ein Buchfink unablässig vor sich hin, rechts hinten aus dem Wald antworten ihm alsbald zwei weitere Kameraden mit Kontergesängen. Ein Grünfink schwunscht dazwischen.

Problemfisch schwer zu fangen

Björn bringt an der hundertfünfzig Meter langen Schnur Bleikugeln (-schrote) an, holt in weitem Bogen aus und lässt den Schwimmer ins Wasser fliegen. Frau C. wacht auf. Björn sagt, die Schleie sei ein „Problemfisch“ und schwer zu fangen, der Graureiher steigt mit missmutigen, trägen Flügelschlägen auf und streicht wie ein Piratensegel über uns hinweg. Jetzt schlafen wir ein.

Als wir aufwachen, holt Björn die Schnur ein und murmelt: „Maden sind noch dran, sind nicht ausgenuckelt. Ich angele so lange, wie ich Zeit habe.“ Rechts von uns schmeißt ein offenbar geringfügig unzufriedener Mann seine halbe Brotzeit ins Wasser. Fische lockt er dadurch nicht an, aber einen Familientrupp Nilgänse, der selbstsicher herbeihalbkreist, eine Gesandtschaft jenes schlechtbeleumundeten Neozoons, das unterdessen Rotmilane aus deren Horsten vertreibt, Enten ertränkt und überdies unserer grandiosen spätmodernen Freizeitbadgesellschaft, zumal in Frankfurt, schwer zu schaffen macht und hart zusetzt. Nicht umsonst hielt bereits Alfred Brehm fest (laut FAZ): „Sie [die Nilgans] gehört zu den herrschsüchtigsten und boshaftesten Vögeln, die es gibt, und lebt trotz der Vereinigungen, die sie mit ihresgleichen eingeht, nicht einmal mit diesen in Frieden.“

Die Pose, dreißig, vierzig Meter von uns entfernt, will und will sich nicht bewegen. Vermutlich ist sie eingeschlafen. Björn grüßt eine vorbeigleitende Nutria und preist diesen perfiden Invader als „die gechilltesten Tiere, die’s gibt“.

Frau C. macht nichts, der Graureiher, wieder am Standort, hat ebenfalls wenig zu tun. Wir beobachten die sonderbaren Wasserläufer, einen wonnebadenden Stockentenerpel, ein müßiggehendes Höckerschwanenpaar und die in Bodennähe herumwirrenden fliegenden Ameisen, die sich paaren. „Zuviel Schönheit ist mir lästig“, hat Charles Bukowski in einer Dokumentation mal gesagt.

Der Weiher: ein undurchdringlicher Spiegel, Farben gebärend, für die es keine recht passenden Begriffe gibt, Rabenkrähen ziehen über ihn hinweg, mit den betont stoischen Flügelschlägen. Die Buchfinkenmännchen dreschen sich mittlerweile die Schädel ein, und Björn, der hier als Spezialist für Angelkommunikation ein wohldosiertes Redevorrecht genießt, lässt sich vernehmen: „Setzt sich doch so ’ne unverschämte Libelle auf meine Pose.“

Er holt erneut aus und jagt den Schwimmer in einem anmutigen Bogen weit hinaus. Wir gucken.

„Vielleicht gibt es hier gar keine Fische“, flüstert Björn beinah. „Wir haben die Antiangelenergie, es liegt an uns beiden“, beruhigt ihn Frau C. Prompt kommt ein höchstens dreizehnjähriger Bengel vorbei, mit einer Angel, die im Vergleich zu Björns High-end-Equipment wie ein spielzeugartiges Yps-Gimmick aussieht, und berichtet ungefragt, er habe mit dem Blinker heute spinnfischend „bloß zwei kleine Hechte und zwei Barsche“ erwischt.

Köderfisch als Star des Abends

Nach dreieinhalb Stunden steigt Björn auf Mais als Köder um und zieht ziemlich rasch eine Plötze, ein Rotauge, aus dem Uferbereich heraus, erledigt sie mit einem Kiemenrundschnitt, spricht zu seinem Köderfisch: „Tut mir leid für dich, du bist der Star des heutigen Abends“, und durchstößt die Schwimmblase, damit er keinen Auftrieb hat.

Nun eine schwerere Rute mit mehr Wurfgewicht, Stahlvorfach festknoten, mörderischen Haken dran, um den Hecht, den „großen Räuber“, niederzuzwingen und zu richten – und eine Ermahnung an uns: „Ihr müsst euch mehr aufs Töten konzentrieren!“

Eine leichte Brise schiebt kleine Wellen auf uns zu, ein Vogel nach dem anderen hebt rund um das Schlachtfeld zu singen an, ein Seeadler, die Nutria zu meucheln, käme uns zupass – oder auch ein Fischadler, der Björn assistieren könnte.

Das faschistische Technogedröhne, von der anderen Seite der Nidda herüberwehend, nimmt kein Ende, da wäre einzig eine Harpyie, deren letzte Lebensräume in den tropischen Wäldern der brasilianische Nazi Bolsonaro gerade zu vernichten beschlossen hat, in der Lage einzuschreiten.

Wenn man sie mal bräuchte, kneifen die Genossen Greifvögel. Björn schleudert den Köder zum wiederholten Mal wie ein Irrer weit, weit links rüber zum Teichrosenteppich, unter dem wir alle eine Bande verfluchter Hechte vermuten.

Passieren tut: nichts – außer dass, dem Anglerfreund zum Hohn, in sicherer Entfernung zum Schwimmer ständig irgendwelche Fischindividuen aus dem Wasser springen.

„Die Dinge werden nie so, dass sie nur noch gut sind“, sagt Bukowski. Immerhin haben wir später einen Grand ohne vier Schneider frei verloren.

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