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Die WahrheitFälschung im Radio

Kolumne
von Eugen Egner

In einer grotesken Welt mit kulissenartigen Städten, die von schemenhaft auf- und abtauchenden Wesen bevölkert werden, ist das Ich allein ein Mensch.

V on mir wird es einmal heißen: „Zuletzt schrieb er nur noch über ein altes, offenbar seit Langem verlassenes Haus auf einem verwahrlosten Grundstück in der Nachbarschaft.“ Als eines Nachmittags im Spätherbst Rauch aus dem Schornstein dieses Hauses gestiegen war, ohne dass sich sonst etwas am Charakter seiner Unbewohntheit geändert hatte, war ich neugierig geworden. Von nun an achtete ich, wenn ich vorbeiging, genau auf etwaige Veränderungen.

Der hölzerne Gartenzaun wurde allmählich lückenhafter und war im folgenden Sommer endlich restlos verschwunden. Zu dieser Jahreszeit konnte er kaum von heimlichen Bewohnern des Hauses verheizt worden sein. Nicht einmal im Winter hätte jemand zu diesem Mittel greifen müssen, denn links und rechts von dem einstöckigen Haus waren große Brennholzmengen regensicher gestapelt. Als viel größer musste die Wahrscheinlichkeit angesehen werden, dass der Zaun von Passanten gestohlen und als Holzspende im Louvre abgegeben worden war. Was mir noch auffiel, war, dass das sonst immer im Hauklotz bei den Holzvorräten steckende Beil ein paar Tage lang auf dem Klotz lag, danach aber wieder in denselben geschlagen worden war. Doch auch dafür mochten Außenstehende, etwa Kinder aus der Gegend, verantwortlich sein.

Dann konnte ich monatelang keinerlei Veränderung mehr feststellen. Im Dezember aber waren eines Tages die schäbigen Kunststoffrolläden vor den Fenstern vollständig heruntergelassen, nachdem sie bisher immer einen Spalt frei gelassen hatten. Es musste also – wenigstens hin und wieder – jemand in dem Haus sein. Dafür sprachen auch die Fußspuren, die ich ein paar Wochen später im frischen Neuschnee auf dem Grundstück sah. Es waren lediglich Abdrücke eines einzigen Paars Schuhsohlen, die von der Haustür zum Bürgersteig führten.

Diese neuen Entdeckungen konnten es unbedingt mit dem rauchenden Kamin im vergangenen Herbst aufnehmen. Erstaunlicherweise fuhr, wie damals, auch jetzt ein Pkw vorbei, aus dem mir eine Frauenstimme zurief: „Gehen Sie schnell nach Hause, Ihr Radio hat eine wichtige Nachricht für Sie!“ Für eine Sekunde konnte ich die Sprecherin dieser Worte sehen: eine ältere Frau mit gelblich blondem, gewelltem Haar. Sie trug eine Brille und ein blaues Kleid. Ob es derselbe Wagen wie seinerzeit war, vermochte ich nicht zu entscheiden.

Weisungsgemäß begab ich mich nach Hause und schaltete neugierig das alte Radio ein, das ich vor langer Zeit von meinen Eltern geerbt hatte. Eine etwas altertümlich klingende Stimme teilte mir mit, der Standard-Echtheitstest habe ergeben, dass ich eine Fälschung sei. „Was Sie für sich selbst halten, scheint tatsächlich eine Art Gummipuppe zu sein“, hieß es. „Eine geheime Macht hat mittels Täuschung und Illusion bewirkt, dass dieses Ding sich ein Bewusstsein einbildet.“

Das beruhigte mich, denn ein Mensch zu sein, ist ja das Schlimmste überhaupt.

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