Die Wahrheit: Eine Lanze für die Dok
Wegen eines Fälscherfalls beim „Spiegel“ steht die Abteilung „Dokumentation“ im Feuer der Kritik – völlig zu unrecht.
W egen gewisser Vorgänge ist zuletzt viel Häme über den Spiegel ausgegossen worden, insonderheit (altertümelnd, bitte die entsprechenden Belege einer nachweislichen Verwendung beibringen! PDF von „Die Welt als Wille und Vorstellung“ genügt) über die Abteilung „Dokumentation“.
Dort arbeiten in einem Großraumbüro (bitte genaue Größe in Quadratmetern anhand der Baupläne messen!) dreiundsiebzig (Zahl offenbar aus der Luft gegriffen!) hochspezialisierte Rechercheure und Rechercheurinnen (womöglich auch Rechercheur*Innen, bitte prüfen!) daran, mit dem Hämmerchen (Dengelhammer? Furnierhammer? Röhrenabklopfhammer?) ihrer Akribie jeden einzelnen Fakt eines Artikels abzuklopfen, ob auch wirklich alle epistemologischen Schrauben fest angezogen sind.
Aus eigener Erfahrung als Schreiber kann ich nur sagen, dass die Zusammenarbeit mit der „Dok“ kein Vergnügen ist (wirklich?). Ja, wirklich. Wo war ich? Genau, kein Vergnügen. In meiner Vorstellung (ab hier eigene Meinung, das lassen wir mal laufen …) sehen die Leute dort alle aus wie Agent Smith aus der „Matrix“ – Anzug, Sonnenbrille, pedantisch wie ein Algorithmus.
Zitiere ich also in einem Text leichthin irgendwelche Austriazismen des Musikanten Andreas Gabalier, hakt die „Dok“ mit reptilienhafter Verbissenheit sofort ein. Ist das nun kärntnerischer oder steirischer Dialekt? Notfalls wird jemand durch strömenden Regen zu „Saturn“ geschickt, um den entsprechenden Tonträger zu erwerben. Damit es eine „belastbare“ Grundlage gibt.
Korrigiert werden sogar Gesprächspartner, die es eigentlich wissen müssten. Charles Aznavour erzählte mir bei einem Interview ganz unbedarft, er sei Vater von „vier“ Kindern. Diese Rechnung hatte er ohne die „Dok“ gemacht. Die zählte nach, überprüfte und widerlegte alle Gerüchte, fahndete nach unehelichen Sprösslingen, befragte pensionierte Hebammen aller Geburtskliniken von Paris und verschaffte sich – in der Hoffnung, verdeckte Unterhaltszahlungen nachweisen zu können – über Informanten in der EDV von BNP Paribas einen Zugang zu sämtlichen Kontobewegungen des Künstlers. Am Ende einigten wir uns darauf, Aznavour sei Vater von „einigen“ Kindern. Sicher ist sicher.
Ebenfalls „nicht belastbar“ war meine eigene Übersetzung des winzigen Wörtchens „colère“ in einem Aphorismus des Philosphen E. M. Cioran mit „Zorn“. Könnte es nicht auch „Wut“ sein? Oder „Ärger“? Es gilt allein die quasi amtliche Übersetzung bei Suhrkamp, wo, wie ein Anruf ergibt, die Autoren mit dem Buchstaben C umzugsbedingt aber bereits verpackt sind. Das Verfahren ist noch in der Schwebe.
Kurzum, die „Dok“ ist kein Vergnügen (echt?). Echt jetzt. Es fühlt sich an, als hätte man Steuerprüfer und Kammerjäger im Haus – bei gleichzeitiger Darmspiegelung (aaaaber?). Aber danach fühlt man sich fantastisch!
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