Die Wahrheit: Erik Cholerik sieht rot
Reich geworden ist er und Hausbesitzer, der ehemalige Wohngemeinschaftsmitbewohner. Jetzt dreht er komplett durch.
A lles in Deckung – Erik Cholerik im Anmarsch!“, rief Raimund, und im Nu herrschte Panik im Café Gum. Petris, der Wirt, ging hinter der Theke auf Tauchstation, Theo und ich duckten uns hinter das alte Sofa und Raimund versuchte, Richtung Lager zu entwischen. Doch zu spät: Schon hatte Erik ihn am Schlafittchen.
„Wohin so eilig?“, zischte Erik: „Hast du etwa den Schlüssel? Oder warum rennst du davon?“ – „Nein, Erik, echt nicht!“, stotterte Raimund und stülpte die Taschen seiner Jeans um: „Du kannst mich durchsuchen!“ Er hob die Arme, als ob er von einem Sheriff mit verspiegelter Sonnenbrille gestellt worden war und mit dem Schlimmsten rechnen musste.
„Mannmannmann“, flüsterte Theo, „es wird immer schlimmer.“ Wir hörten, wie Erik Raimund abtastete, und Theo fuhr fort: „Geld macht einfach blöd in der Birne.“
Vor langer Zeit, als Erik mit zweitem Namen noch nicht „Cholerik“, sondern schlicht Müller hieß, lebte er in der legendären WG am Mühlbachwehr, in der das Privateigentum abgeschafft war: Jeder, der ein Zimmer dort haben wollte, musste alles, was er besaß, der kollektiven Nutzung übergeben. Das bezog sich nicht nur auf Bücher, Platten und Geschirr, sondern auch auf Klamotten, weshalb Erik häufig in viel zu kleinen Hosen oder gebatikten Frauenfummeln aus dem Haus ging.
Das änderte sich, als er von einer Tante ein Vermögen erbte. Er kaufte das Haus, in dem sich das Café Gum befand, zog ganz allein in die riesige Wohnung im ersten Stock, und auch wenn er dem Gum ein Bleiberecht bis zum Jüngsten Tag garantierte, machte er Petris und uns das Leben schwer: Er lauerte hinter der Hofmauer, weil er Petris verdächtigte, heimlich die Mülltonnen der Wohnungsmieter zu benutzen, zwang den letzten Raucher Theo, den Gehsteig zu fegen, wenn er ein paar zertretene Kippen fand, und wachte erbarmungslos darüber, dass das Hoftor mit Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen wurde. Vor allem aber tobte er alle naslang ins Gum herein, weil der Hoftorschlüssel mal wieder verschwunden war.
„Garantiert hat er ihn wieder selbst vertrödelt“, flüsterte Theo, „wie immer.“ In diesem Moment lugte Erik über die Sofalehne. „Ahaa!“, rief er: „Noch zwei Tatverdächtige!“ Theo machte einen Satz zur Terrassentür und wollte sich ins Freie retten. Doch Erik blieb ihm auf den Fersen, stolperte allerdings über die Uferböschung des hinter dem Gum vorbeifließenden Flusses und krachte durch die dünne Eisschicht, die ihn bedeckte.
„Hua!“, rief er, als er wieder hochkam: „Kalt!“ – „Wir sollten ihn retten“, kicherte Raimund, doch Theo meinte, wir sollten ihn zur Abkühlung erst noch mal untertauchen lassen, und ich sagte lieber gar nichts, weil ich in meiner Hosentasche plötzlich einen Schlüssel fand, den ich wahrscheinlich versehentlich mitgenommen hatte, als ich vorhin für Petris heimlich Müll in fremde Tonnen geworfen hatte.
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