Die Wahrheit: Heimliche Zelt-Hitler
Neues aus Neuseeland: Down under gehen die Sommerferien zu Ende und es beginnt die Zeit der Horrorstorys aus dem Urlaub.
E s sind noch Sommerferien, aber langsam trudeln alle von ihren Campingtouren und Wanderungen wieder ein. Zum Grillen bringt man jetzt nicht nur Würste mit, sondern die besten Storys der letzten Wochen, als sich das Leben zwischen Zeltwand und Sternenhimmel abspielte. „Wie war denn euer Kajak-Trip in Golden Bay?“, frage ich Freundin Betty. Mit Smalltalk über den Urlaub und genug Wein lässt sich locker ein Abend bestreiten.
Locker? Betty verspannt sich und stöhnt. Vor uns Deutschen darf sie meckern und muss nicht kiwianisch zwangspositiv sein. Ihr Abenteuer mit Übernachtung am einsamen Strand war die Hölle – eine solche, wie sie auf der werbenden Webseite von Tourism New Zealand gern verschwiegen wird. Es ging damit los, dass ihr Freund die Tide falsch berechnet hatte und sie die Kajaks bei Ebbe ewig durch Schlick schleppten. Die Teenager-Tochter maulte. Dann die Nacht, die zum Outdoor-Horror wurde.
Ein Possum sprang im Dunkeln aufs Moskitonetz und fiel Mutter oder Tochter aufs Gesicht. Betty schoss vor Schreck so ruckartig aus dem Schlaf, dass ihre dünne Luftmatratze den Geist aufgab: pfffft. Sie verließ das gemeinsame Lager, lag allein auf harten Kieseln und hörte die Tochter jaulen. Kein Schlaf, ein womöglich traumatisiertes Kind und der Freund sauer, der die Kajaks organisiert hatte. „Nie wieder!“, sagt sie. Aber sie lacht. Denn Betty ist Australierin und brutale Natur gewohnt.
Auch wir waren zelten – auf einem Hippie-Festival. Die Busch-Sauna dort war so eng und dunkel wie eine Hobbit-Höhle. Sich in diese Grotte zu zwängen und den Hintern auf glitschige Holzbohlen zu pflanzen, zumal nackt, war für etliche neuseeländische Festivalbesucher ihr herausforderndstes Ferienerlebnis. Für mich jedoch war es die Brettspielrunde bei uns im Camp. Alles internationale, coole Leute. Am Silvesterabend gab’s keinen Alkohol, sondern eine Kakao-Zeremonie, danach Songs zur Ukulele. Und am nächsten Tag beim Chillen: „Secret Hitler“.
So stand es auf dem Karton. Ich dachte erst, ich guck nicht recht. Meine neuen Feierfreunde nickten begeistert: „Macht total Spaß!“ Sie packten das Gesellschaftsspiel aus. Obwohl ich seit fünfzehn Jahren raus aus Deutschland und desensibilisiert bin, was britischen Humor in Bezug auf Nazis angeht, zuckte ich zurück. Waren da etwa kleine Hakenkreuze? Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht war ich auch noch von all dem bewusstseinserweiternden Kakao benebelt. Jemand strahlte mich an. „Komm, es wird heilsam für dich sein!“
Auf den Spielkarten stand in altdeutscher Schrift „ja“ und „nein“. „Secret Hitler“ geht genauso wie das Kommissar-oder Werwolf-Spiel, nur wird statt des heimlichen Mörders per Karte der Führer als Böser bestimmt und dann erraten. Ich zog eine Faschisten-Karte und trickste, was das Zeug hielt. Es war etwas verwirrend. Geheilt bin ich nicht, aber ich schlug mich tapfer. Besser als Betty.
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