Die Wahrheit: Hunde im Regen
Die Würdelosigkeit von Vierbeinergespannen kann sich mitunter nachteilig auf die Durchschlagskraft physikalischer Naturgesetze auswirken.
I ch war auf dem Heimweg nach der Arbeit. Es regnete, und die abschüssige Straße lag unter einer flachen Schicht fließenden Wassers. Die Natur hat es so eingerichtet, dass Wasser immer eine exakt waagerechte Oberfläche haben will, dazu aber eine natürliche oder künstliche Einfassung benötigt. Gibt es eine solche nicht, ist das Wasser hemmungslos der Wirkung der sogenannten Schwerkraft unterworfen. In jedem Fall fließt es daher von oben nach unten.
So verhielt es sich auch auf dem parallel zur Straße verlaufenden, mit Betonplatten ausgelegten Gehweg. Dank des dichten Schuhwerks, das ich trug, blieben meine Füße trocken. Das war ein relativer Triumph des Menschen über die Naturgewalten, doch schon um Feuer abzuhalten, wären dieselben Schuhe nicht eben von Nutzen gewesen.
Gegen das von oben herabfallende Wasser hielt ich einen aufgespannten Schirm über mich, zweifellos eine der sinnreichsten Errungenschaften der menschlichen Zivilisation. Ich ging und hatte Sinneseindrücke.
Zur selben Zeit dachte ich auch etwas. Was ich dachte, habe ich nach der langen Zeit, die inzwischen vergangen ist, vergessen. Möglicherweise ist es irgendwo in meinem Gehirn gespeichert und kann mittels einer entsprechenden Technik abgerufen werden. Meiner Meinung nach wurden diese alten Gedächtnisinhalte aber längst gelöscht. Etwa so, wie die Erinnerung an alles, was ich im Schlaf träume, durch den Vorgang des Aufwachens stets wieder neutralisiert wird.
Was ich hingegen noch weiß, ist, dass mir ein lächerliches Hundegespann begegnete. Sehr kleine, albern zurechtgemachte Hunde zogen ohne jede Mühe ein großes, dem Anschein nach schweres Gefährt. Sie taten es mit einem Ernst, den ich ihnen wegen ihres die Würdelosigkeit streifenden Aufzugs kaum zugetraut hätte.
Wenn ich jetzt daran denke, bemerke ich, dass ich nicht einmal imstande bin zu definieren, wie die kleinen Hunde exakt aussahen und worin die Lächerlichkeit ihres Anblicks bestand. Ich wurde abgelenkt, weil eine Person, die vermutlich zu den Hunden gehörte, mit einem gläsernen Gegenstand, vielleicht einer optischen Linse, den Gesetzen der Physik zuwiderlaufende Bewegungen in der Luft ausführte. Manche wirkten wie in Zeitlupe abgespielte Filmaufnahmen. Wäre es möglich gewesen, hätte man bestimmt sehen können, wie der Person das Blut rückwärts durch die Adern strömte.
Zu meiner großen Überraschung überreichte sie mir sodann eine Kugel von der Größe eines Golfballs und erklärte mir, dieselbe solle „meine Welt verbessern“. Ich bedankte mich, steckte die Kugel in meine Jackentasche und setzte meinen Heimweg durch das herunterfallende Wasser fort. Die Strecke zwischen mir und meinem Ziel wurde von jedem meiner Schritte aufgesaugt, bis sie komplett hinter mir lag. Dann hörte der Regen mit großer Gründlichkeit auf, sogar mein Schirm war fort. Und damit nicht genug: Auch die Geschichte war zu Ende. Sie ist es noch heute.
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