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Die WahrheitMysteriöser Code des Lebens

Kreuzworträtsel werden von Grüblern gemacht, die das Weltgeschehen unaufgeregt an sich vorbeiziehen lassen und gern mit Worten verrätseln.

Illustration: Ari Plikat

Zur Zerstreuung lösen viele Leute Kreuzworträtsel – eine amerikanische Erfindung. Andere produzieren sie für Zeitungen und Rätselhefte, wieder andere denken sich gelegentlich einfach nur lustige Kreuzworträtsel-Fragen und -Antworten aus. Zum Beispiel die Schriftstellerin Annie ­Er­naux, die Lehrerin war und während der langen Fahrt im Vorortzug von ihrer Schule nach Hause gelegentlich Kreuzworträtsel löste. „Lebensende mit drei Buchstaben: Ehe“ erwähnt sie in ihrem Buch „Die Jahre“ (2017). „Nichts reichte an das Glück heran, sich abends, nachdem man die Ellbogen ausgefahren und sich als eine der Ersten in den überfüllten Waggons des Vorortzuges gedrängt hatte, endlich zu setzen und die Augen zu schließen – oder ein Kreuzworträtsel zu lösen.“

Auch der Dichter Bert Papenfuß löst gern Kreuzworträtsel: „Als Wort-Training,“ wie er sagt, das heißt, „um sich fit zu halten“. In seiner Stammkneipe „Rumbalotte“ nahm er sich dazu die Rätsel in Zeitungen vor, obwohl sie ihm zu leicht waren, zu Hause hat er jedoch die „anspruchsvolle Rätselzeitung Troll“.

Der schwedische Maler Olof Ågrengren stellte 1929 seine Bilder in Stockholm aus, dazu dachte er sich ein Kreuzworträtsel aus. Die ersten drei richtigen Lösungen bekamen jeweils eines seiner Bilder geschenkt. Einer der Gewinner verkaufte das Gemälde „Wasserturm“ sogleich an die Stadt. Die Rätsel lauteten „Stockholmer Städtplaner aus der Peripherie“ mit zehn Buchstaben: „Lilienberg“, und „Berühmter Verschönerer Stockholms aus der Peripherie“ mit vier Buchstaben: „Liss“.

Der Stern interviewte einen deutschen Verrätseler von Kreuzworten: „Im täglichen Sprachgebrauch kommen die Bezeichnungen für den Schutzapostel der Eskimos, die griechische Göttin der Morgenröte und einen südamerikanischen Goldhasen – Egede, Eos und Aguti – kaum vor. In unzähligen Kreuzworträtseln sind sie gesucht. Denn für Rätsel eignen sie sich perfekt. ‚Die Wörter kreuzen sich am besten, wenn sie viele Vokale und gängige Konsonanten wie g, s oder t beinhalten und dazu möglichst kurz sind‘, sagt Stefan Heine. Heine muss es wissen, schließlich ist der 37-Jährige ‚Rätselmacher‘ von Beruf.“

Er beliefert seit Jahrzehnten deutschsprachige Medien mit Rätseln: „Ob Sudokus, also Zahlenrätsel, oder Buchstabensalate, Personen-, Silben- oder Kreuzworträtsel – Heine hat in seinem ‚presse service‘ in Hamburg mehr als 120 Arten im Angebot. Damit gehört der 37-Jährige zu den weniger als einhundert Menschen in Deutschland, die Rätsel herstellen und damit ihr Geld verdienen.“

Lexika sind das Handwerkszeug für Rätselmacher

Noch weniger Menschen stellen „Kreuzworträtsel-Lexika“ her. In diesen Nachschlagewerken tauchen immer mehr Pflanzen- und Tiernamen auf. Sie sind sozusagen das Handwerkszeug sowohl für Leute, die Kreuzworträtsel lösen, als auch für Leute, die Kreuzworte suchen und verrätseln. Das „raetsel­hilfe.net“ zählt zum Beispiel unter Pflanzen mit acht Buchstaben neun auf, bei Pflanzen mit neunzehn Buchstaben zwei: den Riesenschachtelhalm und den Johannisbeerstrauch. Bei der Rätselfrage „Insekt“ werden 168 deutsche Namen angeboten.

So mancher Kreuzworträtsellöser denkt vielleicht: Ach, wär das schön, wenn ich in einer Zeitungsredaktion für das Kreuzworträtsel am Wochenende zuständig wäre – mit eigenem Büro, Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld und Pipapo. Meistens handelt es sich dabei um Leute, die gern in Ruhe grübeln und das Weltgeschehen unaufgeregt an sich vorbeiziehen lassen, dafür aber viel lesen und dabei immer wieder auf Worte stoßen, bei denen ihnen eine Verrätselung einfällt. Doch wie sagte schon Sebastian Haffner spöttisch über den Lauf der Welt: „Man beginnt als Genie und endet als Redakteur für die Rätselecke.“

Heutzutage gibt es in Zeitungen keine fest angestellten Rätsel-Redakteure mehr, die Rätselecken werden nur noch mitbetreut. Wie in der taz, wo am Wochenende auf der Wahrheit-Seite das „Wahre Rätsel“ erscheint, das eine verschworene Fangemeinde hat. Erstellt wird es vom Göttinger Dichter Reinhard Umbach, der es als freier Mitarbeiter neben seiner Lehr- und Dichttätigkeit jede Woche aufs Neue mit seinem sehr eigenen Witz glücklich zusammenfügt.

Codewort, hochgeheim

Mindestens zwei Mal in der Geschichte passierte es jedoch, dass festangestellte Kreuzworträtsel-Autoren schwer in die Bredouille gerieten: 1944, kurz vor der Invasion der alliierten Streitkräfte in der Normandie, wurden den Lesern im Kreuzworträtsel einer englischen Zeitung, wenn sie alle Worte richtig einsetzten, die hochgeheimen Codeworte für die Landabschnitte an der französischen Küste – wie „Omaha“, „Utah“ etc. – verraten. Wenig später geschah Ähnliches im Kreuzworträtsel einer mitteldeutschen Zeitung, indem darin die streng geheimen Codeworte für die Raketenproduktion in Peenemünde auftauchten.

In beiden Fällen wurden die Kreuzwort-Verrätseler vom Geheimdienst beziehungsweise von der Gestapo verhaftet und ausgiebig verhört. Es konnte ihnen jedoch kein Geheimnisverrat nachgewiesen werden, wie der Peenemünder Befehlshaber General Dornberger in seiner Autobiografie „V2, der Schuss in den Weltraum“ 1952 schrieb. Aber wie war das trotzdem möglich? Darüber hat der US-Autor Thomas Pynchon gerätselt. Ihm zufolge war die Geheimhaltung dieser etwa zehn Codeworte damals derart paranoid überspitzt worden, dass in der kriegsbedingten Gerüchteeskalation der Zivilisten sich quasi das Unbewusste/Unbekannte selbst artikulierte.

Bredouille per Rätsel

Mit fünfzehn geriet auch ich einmal durch Kreuzworträtsel in die Bredouille: Ich saß auf dem Teppich im Wohnzimmer und blätterte alte Stern-Ausgaben durch, da entdeckte ich, dass die Auflösungen dort eine Woche später im Heft erschienen. Ich hatte bis dahin noch nie was mit Kreuzworträtseln zu tun gehabt, jetzt nahm ich mir eins vor und legte das Heft mit der Auflösung daneben, dann las ich laut „Fluß mit 5 Buchstaben“ und guckte in der nächsten Ausgabe nach, was gemeint war: „Wolga“. „Schriftsteller mit 4 Buchstaben“. Lösung: „Böll“ und so weiter. Plötzlich bemerkte ich, wie meine Eltern mich aufmerksam beobachteten und sich vielsagend anschauten: „Was haben wir doch für einen klugen Sohn …“ konnte ich in ihren Gesichtern lesen, ließ mir aber nichts anmerken und machte weiter.

Ihr Erstaunen wuchs mit jedem Kreuzwort, denn sie kannten die meisten Lösungswörter wahrscheinlich nicht. Aber dann sagte ich „Österreichischer Kommunist mit fünf Buchstaben?“ und gab mir sogleich die Antwort: „Suppe“. Da fiel bei ihnen der Groschen: Es ging um einen Komponisten – und der hieß „Suppé“. Enttäuscht wendeten sie sich von mir ab, und auch ich widmete mich anderen Dingen.

Der Schriftsteller Fredrik Sjöberg schreibt in seinem neuen Buch „Vom Aufhören“, „dass Kreuzworträtsel mehr als alles andere den permanent in allen Medien laufenden Quizsendungen den Weg ebneten, so als wäre das ­Leben in seiner vollen Länge eine einzige Klassenarbeit.“

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