Die Wahrheit: Der Muster-Imbiss
Abseits des Weges, in einer unwirtlichen Gegend, steht eine Wurstbude, die Terroristen anlockt. Drei an der Zahl. Ein gefährlich hinfälliges Trio.
S eit Stunden fuhren wir durch die Gegend, immer hin und her, wieder und wieder von hinterrücks vertauschten Ortsschildern und lügenhaft beschrifteten Wegweisern in die Irre geschickt. Fragte man Menschen am Straßenrand, machten sie ebenso widersprüchliche Richtungsangaben.
Es fiel auf, dass die sonst recht leere Landschaft erstaunlich viele Rostbratwurst-Stände aufwies, und so gewannen wir den Eindruck, die Rostbratwurst sei das einzige Industrie-, Handels- und womöglich auch Kulturgut dieses Teils der Welt. Manche Stände wirkten provisorisch bis desolat, andere machten einen haltbareren, ja geradezu schon stationären Eindruck.
An einem solchen, aus einem Holzverschlag mit integrierter Verkaufstheke bestehend, parkten wir den Wagen, um unseren inzwischen existenzbedrohenden Hunger zu stillen. Mit letzter Kraft schleppten wir uns zu der von ihrem Inhaber mit dem Schriftzug „Muster-Imbiss“ versehenen Bude. Hinter der selbstgezimmerten Theke befand sich ein Baumarkt-Grill, der von einem Einheimischen mit Würsten beschickt wurde. Erstaunlich viele wurden soeben gebraten. Dies erklärten wir uns damit, dass in einer seitlichen Erweiterung des Verschlags drei Personen saßen, eine Greisin sowie eine Frau und ein Mann, die wohl zwanzig Jahre jünger waren. Aber konnten sie wirklich so viele Würste bestellt haben?
Der Mensch am Grill bemerkte unser Interesse an den Leuten im Verschlag und sagte: „Die machen hier Urlaub.“ – „Da drin?“, fragten wir. „Ja, klar“, antwortete der Wurströster vollkommen ernst. Wir sagten nichts dazu, sondern gaben unsere Bestellung auf und warteten. Flüsternd spekulierten wir untereinander, ob der „Muster-Imbiss“ vielleicht in Wirklichkeit eine Terrorzelle sei. In einem Landstrich, wo unablässig Wegweiser und Ortsschilder ausgewechselt wurden, wäre das kein Wunder gewesen, zudem konnte jeder ein Terrorist sein.
Als wir dann unsere fertigen Würste erhalten und bezahlt hatten, zogen wir es vor, sie im Wagen zu verzehren. Wir erwogen sogar, zuvor eine weiter entfernte Stelle anzusteuern, falls jemand im Verschlag auf den Gedanken kommen sollte, sich in die Luft zu sprengen. Aber zuletzt blieben wir doch, wo wir waren.
Stumpfsinnig die Würste kauend, beobachteten wir den „Muster-Imbiss“. Einer der angeblichen Urlauber, der Mann, kam aus dem Verschlag heraus. Er schloss einen auf dem Grundstück abgestellten Pkw auf und stieg ein. Kurz darauf traten auch die beiden Frauen ins Freie. Die jüngere führte die ältere, die furchtbar elend und gebückt dahinschlich, offenbar halbtot vom übermäßigen Wurstessen.
Womöglich wollte der Mann sie von ihren Qualen erlösen, denn er ließ den Motor an und versuchte ein ums andere Mal, die Greisin zu überfahren. Es gelang ihm jedoch nicht, vermutlich fehlte ihm ein Enzym. Wir konnten es irgendwann nicht länger mit ansehen und fuhren weiter, immer hin und her.
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