Die Wahrheit: Höllenlärm in sanften Kutten
Bei den Brüllmönchen des Krakeelerordens St. Cacophonius zu Kaiserslautern zu Besuch. Ein schonungsloser Bericht.
Der Besuch war nicht geplant, und wenn man nicht gezielt danach sucht oder zufällig darauf stößt, wird man diesen Platz auch nicht finden. Aber wenn sich die Reise nach Südfrankreich staubedingt verzögert, diverse Landgasthäuser schon die Rollläden hinter den hochgeklappten Gehwegen versenkt haben und selbst die Etap-Hotels am Wegesrand ausgebucht sind, ist man nicht gerade wählerisch, sobald man den Hinweis erblickt: „Fremdenzimmer, rund um die Uhr geöffnet“. So hat uns diese Notlage zu einer Begegnung mit einer der faszinierendsten religiösen Stätten Deutschlands verholfen – dem Kloster des Krakeelerordens St. Cacophonius zu Kaiserslautern.
Der Bau, in unmittelbarer Nähe zum Autobahndreieck A6/A63 gelegen, ist schlicht, vielleicht hundert Jahre alt. Über dem schmucklosen Eingangstor prangt in schreiend fetten Lettern ein Zitat des biblischen Propheten Joel: „Stoßt in die Posaune auf dem Zion und schlagt Lärm auf meinem heiligen Berge, daß alle Bewohner des Landes erzittern!“
Obwohl das Eichentor massiv ist, die Autobahnen hinter uns rauschen und es bereits kurz nach Mitternacht ist, hören wir von drinnen Geschrei. Dann wird uns geöffnet. „Gruß Gott!“, brüllt uns ein in eine schlichte Soutane gewandeter Mann mittleren Alters freundlich an. „Was können wir für Euch tun?“
Wir müssen ein wenig zusammengezuckt sein, jedenfalls dröhnt uns der lächelnde Mönch noch eine Art Entschuldigung entgegen: „Fürchtet Euch nicht!“ Wir sollten uns nicht wundern oder ängstigen, erläutert uns der freundliche Mann, aber alle Geistlichen dieses Gotteshauses hätten ein Schreigelübde abgelegt. Ob wir eine Herberge benötigen?
Da wir diese tatsächlich brauchen und zudem unsere Neugier erweckt war, checken wir ein. Bruder Manfred, so heißt der diensthabende Krakeeler, wies uns unser Zimmer zu: eine schmucklose, kleine Kemenate. An den Wänden, nur teilweise übertüncht, finden sich noch Graffiti füherer Gäste: „Haltet die Fresse!“ oder „Schnauze!“ oder „Ich halt das nicht länger aus!“
Wir fragen unseren Gastgeber nach dem Orden: In demütiger Geste legt er seine Hand ans Ohr: Wir sollen lauter fragen! Wir schmettern ihm unseren Wissensdurst entgegen, gütig nickt nun Bruder Manfred, bevor er einen kleinen Abriss der Geschichte dieses ungewöhnlichen Ordens gibt.
Das Tosen der Liebe Gottes entgegengrölen
Wie man Feuer mit Feuer bekämpfen kann, so könne man auch Lärm mit Lärm begegnen, ist das Credo der Brüllmönche von Kaiserslautern. Zurück geht die religiöse Tradition der Krakeeler auf den deutschen Militärpfarrer Rudolf von Dröhnen, der als Feldgeistlicher die Schlacht von Verdun überlebte. Zwischen Granatsalven und dem Kugelhagel sei dem verzweifelten Geistlichen dort der Erzengel Raphael auf einem gepanzerten Rappen erschienen und habe ihn aufgefordert, dem Tosen der Welt das Tosen der Liebe Gottes entgegenzugrölen. Nach zwei Hörstürzen und einem Trommelfellriss nahezu taub geworden, folgte Rudolf von Dröhnen 1920 seiner Berufung und gründete den bis heute einzigen Orden der Brüllmönche, gewidmet Sankt Cacophonius, dem Schutzheiligen der Sprengmeister, Journalisten und Klingeltonkomponisten.
Unsere Ohren klingeln, aber auch weil gerade eine Art Feuerwehrsirene mit Feedback-Schleife zur Ein-Uhr-Andacht ruft: dem Nachtgebrüll. Wie in jedem Kloster sind auch im Krakeelerorden die Zeiten und Tagesabläufe klar getaktet: Morgenschrei, Mittagskrach, Vesperdonner, Abendgegröl. Und dazwischen dreimal täglich einen Satz warme Horen. Alles hat seine Zeit, auch der Krach.
„Jesus tat einen lauten Schrei und verschied“, heißt es im Markus-Evangelium. Die Mönche des Krakeelerordens haben darauf ihr Leben, ihre Theologie gegründet. Im Schrei fühlen sie sich dem Heiland am nächsten. Im Gebrüll liegt die transzendentale Erfahrung, denn die Seele wird aus dem Leib geschrien, hin zu Gott.
Beeindruckt wohnen wir der kurzen Messe bei, die ihren Abschluss findet im gemeinsamen Abendmahl. Anstelle einer Backoblate legt der Brüllabt auf die Zungen der Mönche je ein Rachengold, anschließend geht ein goldener Kelch Prospan durch die Reihen. „Mein, Leib, mein Blut – für Euch gegeben.“ Nach dem Segen dröhnt, von wilden Trommelwirbeln unterbrochen: „Halleluja! Hosianna, rambazamba! Lobet den Herrn!“ durch die Gemäuer. Beim „Amen“ wackeln die Wände.
Wie wird man Brüllmönch?
Nach dem Nachtgebrüll kommen wir noch mit ein paar Mönchen ins lockere Geschrei. „Wie wird man Brüllmönch?“, wollen wir von Bruder Manfred wissen. Tatsächlich ist der Orden einer, der sich an die Ausgestoßenen wendet: die Lauten, die Polterer, denen man aus dem Weg geht. Er selbst sei mal Shouter in einer Heavy-Metal-Band gewesen. Andere Brüder seien in der CSU gewesen, wo’s zwar laut genug zugehe, aber selten christlich.
Oder Bruder Severin – er deutet auf einen schlacksigen Mönch, der einsam vorm Altar in eine Vuvuzela trötet –, der sei früher Kabarettist gewesen. Doch so laut er auf den Brettlbühnen auch wetterte gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, es half nichts. Schließlich die Hinwendung zu Gott: „Mag die Welt auch wüten, jetzt wird zurückgeschrien“, blökt uns Manfred selig entgegen. Im Lärm habe er zur Ruhe gefunden. „In der Bibel ist oft davon die Rede, dass sich Gebrüll erhob. Und ich weiß nun, wie erhebend Gebrüll sein kann.“
Kantor des Klosters ist Bruder Horsti. Stolz präsentiert er uns sein Kirchenmusikgerät in der kleinen Kapelle: ein Pearl Roadshow Drumkit mit Doublebase und allem, was der Markt an Extrem-Percussion hergibt. „Klar, ne Orgel macht auch schon ordentlich Krach, aber das hier hat doch noch etwas mehr Wumms!“, erschreit er uns seine Instrumentenwahl. Er zeigt auf eine gusseiserne Glocke an seinem Instrument. „Hier, die kam schon mal bei AC/DC zum Einsatz.“ – „Ach so, aus dem Song 'Hel…“ – „Schweig!!!!“, fährt uns Bruder Horsti an, „Und lobe den Herrn! Ich nenne sie die Dezibell.“
Eine Demonstration der Höllenglocke fegt uns aus der Kapelle. Auf dem Weg zu unserem Zimmer fragen wir Bruder Manfred, wer hier denn als Gast einkehre. „Meist sind es Fernfahrer,“ schreit er. „Die stört unsere Lebensweise nicht so sehr. Manchmal auch Fußballfans. Neulich hatten wir sogar eine Schulklasse hier. Aus dem Berliner Wedding. Wie es heißt, galt sie als die unruhigste Schulklasse Deutschlands.“ Sie hätte sich auch mächtig ins Zeug gelegt, doch am vierten Tag des Herrn hätten sie Handarbeiten und das Schachspiel für sich entdeckt.
Am nächsten Morgen verlassen wir das Ordenshaus der Krakeeler kurz nach dem Morgenschrei. Übermüdet und beseelt steigen wir in unser Auto. Das haben wir in uns aufgenommen: Das Kloster der Brüllmönche verlässt man lauterer Gesinnung. Wir schalten das Autoradio an, drehen auf Anschlag und drücken das Gaspedal durch. Halleluja, rambazamba, lobet den Herrn!
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