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Die WahrheitÜber Eselsbrücken musst du gehen

Kolumne
von Jenni Zylka

In der Duden-Redaktion herrschen Zustände wie bei VW in der Abgasaffäre. Bei Merkreimen werden permanent Grenzwerte des Sinns überschritten.

Z um Geburtstag bekam ich die neue Auflage der „Eselsbrücken“-Sammlung geschenkt, ein schmales Bändchen, das im Duden-Verlag erscheint. Ich sammle seit dreißig Jahren leidenschaftlich Eselsbrücken, habe sogar schon ausgestellt, sodass in meiner Privatsammlung eigentlich kaum etwas fehlt. Die einzigen neuen zu Computern und Social-Media-Themen wie „ApfelS – kein Stress“ oder „Hete, keine Kinder? Verhüte bei Tinder! Homo, nur rein da? Prima, nutz Grindr!“ habe ich selbst erfunden.

Neugierig begann ich zu blättern. Doch mir standen alsbald die vor Schreck steingrau gewordenen Haare zu Berge: Anscheinend herrschen in der Duden-Redaktion Zustände wie bei der VW-Abgasaffäre! Illegal werden unzulässige Eselsbrücken in das Büchlein hineingeschmuggelt, und nachgeprüft wird rein gar nichts. Dabei werden die Grenzwerte für sinnvolle Eselsbrücken permanent überschritten.

Eine der wichtigsten Regeln für Eselsbrücken ist bekanntlich, dass der Merksatz sich reimen sollte, wobei ein emotional-bedrohlicher Aspekt, ähnlich wie bei einem Haiku, durchaus eine Rolle spielen darf: „Trenne nie st, denn es tut ihm weh“ oder „333 – bei Issos Keilerei“. Weiterhin muss die Eselsbrücke gut merkbar sein, weil sie entweder ein interessantes Bild erzählt („Welcher Seemann liegt bei Nanni im Bett?“) oder eine bekannte Situation schildert („Geh du alter Esel Heu fressen“).

Verwirrend oder gar desorientierend sollten sie keinesfalls sein, so wie folgender angeblich von Naturwissenschaftlern genutzter Reim: „Der Kahn, der fuhr im Mondenschein dreieckig um das Erbsenbein. Vieleck groß und Vieleck klein, der Kopf, der muss am Haken sein.“ Hä?! Ist das eine von zu viel LSD-Konsum geprägte Version von „Dunkel war’s, der Mond schien helle“? Welcher Mensch hat denn Erbsenbeine – eine Bohnenstange? Oder angelt ein Kannibale hier seinen Lunch?! Im Ganzen klingt diese angeblich für das Merken der acht Handwurzelknochen genutzte Eselsbrücke schon sehr nach einem Zauberspruch der Hexe Schrumpeldei beziehungsweise ihrer Tochter Schrumpelmei. Ich bin doch nicht von gestern, liebe Duden-Redaktion.

Genauso wenig überzeugt mich die angeblich die an Mount-Rushmore-Präsidentenköpfe gemahnende Frage „Wat jeht, Rosalie?“ Oder hießen die vier Staatenführer vielleicht Watshington, Jehterson, Rosavelt und Liencoln? Unmöglich. Und so was will die nächste Pisa-Misere verhindern!

„Megusahonicopa“ ist meines Erachtens auch kein Merkwort für die mittelamerikanischen Staaten von Nord nach Süd, sondern klingt nach einer Jakob-Wassermann-Novelle. Schließlich gibt es dort garantiert Gold. Und bei „12 – 9 – 1 / gegründet war die Schweiz“ kommt mir fast das Fondue hoch. Mag sein, dass im Jahre 1291 ein „Bundesbrief“ die Grundlage für die Eidgenossenschaft setzte. Aber die westfälische Schauspielerin Esther Schweins, Jahrgang 1970, hatte hoffentlich nichts damit zu tun.

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1 Kommentar

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  • Liebe Frau Zylka, leider haben Sie übersehen, daß der von Ihnen als "desorientierend" gebrandmarkte Merkvers allen Medizinstudenten (nicht: Naturwissenschaftlern) beim Lernen der (lateinischen) Namen der Handwurzelknochen seit Generationen äußerst hilfreich ist. Und das Erbsenbein gibt es tatsächlich! Es heißt Os pisiforme, weil es wie eine Erbse aussieht. Aber offensichtlich hat der Duden den Spruch nicht ganz richtig wiedergegeben: Mir ist die Version geläufig: "Ein Schifflein fuhr im Mondenschein dreieckig um das Erbsenbein. Vieleckig groß, vieleckig klein, am Kopf, da muß ein Häkchen sein." Das paßt auch besser im Versmaß.

    Herzliche Grüße, Dr. Christoph Weißer