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Die WahrheitDie Rache der Griechen

Susanne Fischer
Kolumne
von Susanne Fischer

Wer in jungen Jahren Richtung Retsina nach Griechenland reiste, der wird auch 35 Jahre später zumindest vor Ort nicht enttäuscht.

R igas Fereos war ein griechischer Freiheitsheld. Ich war 17 und liebte ihn. Zu Hause gab es Schweinebraten und Pfannkuchen. Im „Rigas Fereos“ servierte man Moussaka und Retsina, für mich von nun an die griechischen Zwillingsmädchen des Vertrauens. Es war ein Kellerlokal am Rande von St. Pauli, und ich lebte in einem Hamburger Viertel, das weder über Kellerlokale noch überhaupt über irgendwas verfügte, was nicht Bügelfalten hatte und überaus ordentlich gefegt und geputzt war. Meine erste Begegnung mit Auberginen und Knoblauch – ein echter Kulturschock. Wir Wirtschaftswunderkinder hatten ja nichts.

Mir war klar, ich musste nach Griechenland, denn dort residierten Freiheit und Leben. Mit wenig Geld und einem Interrailticket erlangte ich rasch die Freiheit, auf jugoslawischen Bahnhöfen und an griechischen Stränden zu nächtigen. Der jugoslawische Sozialismus gefiel mir gut, denn er besaß ein Mittelmeer, laue Nächte und Ćevapčići, und das alles war in meiner norddeutschen Gymnasiastinnen-Existenz bisher nicht vorgekommen.

Später kampierten wir zwei Tage lang zwischen salonikischen Erdbebenopfern auf einem Parkplatz unter freiem Himmel und fanden nichts dabei. Das Erdbeben lag schon einen Monat zurück, aber die Einwohner hatten immer noch Angst vor erneuten Beben. Lustig! Und so praktisch, denn sonst hätten wir bestimmt nicht mitten in der Stadt unsern Schlafsack ausrollen können.

Wir spürten keine Angst, denn wir waren jung und hatten kein Hirn. Das wird in der EU ja erst später ausgegeben; macht aber nichts, zum Amüsieren braucht man es nicht unbedingt. Übrigens wurde auch die EU erst später erfunden, und Griechenland gehörte sowieso noch nicht dazu.

Es war das fremdeste Land, das ich mir denken konnte, der reine Balkan, und ich war irgendwie doch froh, als ein D-Zug mich nach vier Wochen unversehrt und nur leicht angeschmutzt wieder zu meinen Hanseaten brachte.

Die nächsten 35 Jahre reiste ich nicht mehr nach Griechenland; wahrscheinlich habe ich mich meiner Naivität geschämt. Erst als Angela Merkel das Land so richtig knebelte, kehrte ich zurück in der versponnenen Idee, dass die Griechen nun an mir Rache nehmen dürften für den deutschen Wahn, sie stets entweder für geniale Lebenskünstler oder für faule Totalversager zu halten. Der Grieche als solcher aber servierte mir dann lieber frittierte Zucchini­blüten und Mythos-Bier an einem 1a-Mittelmeer und beschämte mich Kartoffel weiterhin durch unbeirrbare Freundlichkeit.

Rache nahm er schließlich in einem Lokal in Deutschland. Beschwingt bestellte ich, Wahlgriechin unter Exil-Griechen, das authentische Kennenlern-Menü, alles schmeckte bestens. Erst nachts brach ich unter der Last der fremden Kultur zusammen. Das Klo der Griechen mit der Seele suchend schwor ich allen weiteren Völkerstereotypen für immer ab.

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Susanne Fischer
Autorin
Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)