Die Wahrheit: Nachtzuschlag für Umverteiler
Zu Besuch bei Deutschlands erster Gewerkschaft für Berufskriminelle, dem Deutschen Ganovenbund (DGB).
Der Gewerkschaftsfunktionär Sven Meier entspricht nicht dem Bild, das man sich von einem Gauner macht: Das Kaufhausjackett überspannt einen leichten Bauchansatz, das Gittermuster der Krawatte wirkt ebenso bieder wie der akkurat gestutzte Kinnbart. Einzige Extravaganz: An jedem Kleidungsstück hängt noch das Preisschild.
Meiers Vorzimmerdame – Jackenkleid, Kurzhaarfrisur, „#MeToo“-Button – hat uns in sein Büro geführt und serviert jetzt lappige Bürokekse und bitteren Bürokaffee. So sparkassig hatten wir es uns beim neu gegründeten Deutschen Ganovenbund (DGB) in Frankfurt am Main nicht vorgestellt.
Sven Meier skizziert kurz die Gründungsgeschichte. Nachdem die FDP hingeschmissen hatte, habe man kurz gehofft, dass jetzt nicht wieder nur für die großen Verbrecher etwas getan würde, sondern auch für die kleinen Leute wie Taschendiebe und Schmieresteher. Als aber auch die neue Regierung diese Randgruppe links liegen ließ, habe man sich eben organisiert. „Uns reichte es einfach. Wir haben zwar unsere Leute in den Parteien, aber die trauen sich wegen der ständigen Diskriminierung nicht mehr aus der Deckung.“ Meier empört sich – ihre Mitglieder würden teilweise als „Verbrecher“ oder sogar als „Kriminelle“ bezeichnet.“ Er bevorzugt den Begriff „unkonventionelle Umverteiler“.
Ziele des DGB
Und was genau ist das Ziel des DGB? Statt einer Antwort drückt Meier auf einen Knopf an seiner Telefonanlage: „Anita, haben wir die neuen Flyer da?“ Dann erklärt er das DGB-Motto „Kopf hoch im Untergrund!“ Auch Rechtsbrecher hätten schließlich Rechte. „Unser Sozialstaat kennt so viele Sonderregelungen – aber haben Sie schon mal versucht, die Fluchtkilometerpauschale geltend zu machen? Als Fassadenkletterer eine Gefahrenzulage durchzusetzen? Oder Schlagring und Brecheisen von der Steuer abzusetzen? Das ist glasklare Diskriminierung!“
Meier ereifert sich und geht dabei auf und ab – immer vier Meter hin und zurück. Das Standardmaß einer Einzelzelle. „Wer denkt an die Altersarmut bei Räubern? Und haben Sie mal in einem Fluchtwagen ein Steuerformular ausgefüllt? Völlig unmöglich. Ich nenne das Staatsversagen!“
Anita steht in der Tür und wirkt verlegen: „Der Kopierer ist … äh … abhanden gekommen. Aber hier ist die Liste mit den Ideen für den Flyer.“ Meier liest die Vorschläge vom Blatt. „Die Henkersmahlzeit jeden Tag im Knast zu bekommen, ist für uns ein Grundrecht. Wir wollen auch Nachtzuschläge, Gratis-Virenschutz für Cyberkriminelle und Kinderbetreuung für Doppeleinbrecher.“
Und was hat es mit dem Firmenschild GANOVA im Fahrstuhl auf sich? Das sei ihre gewerkschaftseigene Versicherungsgesellschaft, antwortet Meier stolz. Sie biete eine Berufsunfähigkeitsversicherung, eine private Altersvorsorge und auch eine Raub- und Einbruchsversicherung. Schließlich seien Kriminelle oft nachts unterwegs und würden deshalb überdurchschnittlich häufig Opfer von Eigentumsdelikten. Grinsend weist Meier darauf hin, dass die Versicherungsunterlagen der GANOVA natürlich nicht „Police“ heißen.
„Dabei haben wir nichts gegen die Polizei. Viele, die es bei uns nicht geschafft haben, sind ja selber dort. Natürlich will kein Krimineller einen Polizeistaat – aber die Polizei muss uns kriminelle Ausländer vom Leib halten. Organisierte Kriminalität darf es in Deutschland nur mit einheimischen Kräften geben!“
Streik aller Verbrecher
Bevor Meier noch weiter ausholt, stellen wir die Frage der Fragen: Wäre ein Streik aller Verbrecher nicht kontraproduktiv? „Unterschätzen Sie nicht die soziale Funktion der Kriminalität“, erklärt Meier. „Nur dank uns können sich Millionen Menschen ehrlich fühlen und dabei die Steuer bescheißen.“
Selbstverständlich geht der DGB mit der Zeit und fordert ein Ende des Sexismus in den Polizeiberichten. Man wolle, dass es künftig ganz selbstverständlich heißt: „Die Täterinnen flüchteten unerkannt“ oder „Polizei sucht brutale Schlägerinnen“, anstatt die weibliche Hälfte der Unterwelt weiterhin auszugrenzen. Künftig wolle man das Einbruchswerkzeug „Gisela“ statt „Dietrich“ nennen.
Bescheiden weist Meier darauf hin, dass er während einer „Auszeit“ ein wenig Philosophie studiert, das Studium aber „wegen guter Führung“ habe abbrechen müssen. Deshalb plane er ein kleines akademisches Programm mit einer kriminellen Zukunftswerkstatt zum Thema „Helle Köpfe aus dem Darknet“ sowie einen Essay-Wettbewerb zum Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Unser Gespräch wird jäh von einem Martinshorn unterbrochen. „Das ist das Signal zum Feierabend. Wir wollen, dass unsere Leute pünktlich heimgehen. Wir sind schließlich eine Gewerkschaft“, schmunzelt er und fügt fast beiläufig hinzu, dass wir unsere Wertsachen bitte am Ausgang freiwillig in die Schale legen sollen.
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