Die Wahrheit: Mensch Baum, ich kenn Sie kaum!
Das Verhältnis zwischen dem egomanen Säugetier und der verholzten Pflanze verdient endlich eine fundierte Aufarbeitung.
Frage: Wieso kann Jean-Paul Belmondo im Gegensatz zu Terrassenmöbeln aus Teakholz in Würde altern? Antwort: Belmondo geht bei Regen rein. Diesem selten erzählten und für 90 Prozent der Menschheit unverständlichen Witz, weil sie kein Teakholz kennen, kommt ein Verdienst zu: Er thematisiert das Verhältnis des Menschen zu Holz. Und damit auch zu den Holzlieferanten, den Bäumen.
„Mein Freund, der Baum, ist tot“, sang einst die Bardin Alexandra. Der Song zeigt: So unterschiedlich Mensch und Baum sein mögen – kulturell, sozial, teilweise sogar hinsichtlich ihrer Sexualpraktiken: Freundschaft ist möglich. Und wo Freundschaft und Empathie sind, da sind auch Freude, Glück und Trauer.
Die Vermenschlichung von Tieren hat eine lange Tradition: Welpen sind süß, Kätzchen niedlich, Kaninchen putzig. Sie dienen als Familienersatz, werden endlos geknuddelt, dürfen bei der Urlaubsplanung mitreden und, wenn sie krank sind, sogar ins Doppelbett kacken, jedenfalls auf ihrer Seite. Welcher Ehegatte, welcher dem Wickelalter entwachsene Abkömmling genießt gleiche Zuwendung und ähnliche Nachsicht?
Hingegen ist es mit der Vermenschlichung von Bäumen nicht weit her. Zwar gibt es diverse Märchenfilme mit sprechenden alten Bäumen, doch nur vereinzelt, weil Bäume in der Regel nicht textsicher sind.
In gewisser Weise ist der Baum selbst schuld an seiner Lage. Äußerlich entspricht bereits der Jungbaum nicht dem Kindchenschema, das uns bei kleinen Pinguinen, frisch geschlüpften Bibern oder Claus Kleber das Herz öffnet. Oder ist eine kleine Eiche allerliebst, rührt uns ein einsamer junger Zwetschgenbaum so sehr, dass man ihn sogleich adoptieren möchte? Lässt sich umgekehrt Margot Käßmann als Baum denken? Und wenn ja, als welcher? Ulme? Birke? Japanische Zierkirsche? Oder als ganz neue Art: als Plappel?
Der Baum im Netz
Vom Baum und insbesondere vom freilebenden Baumrudel, dem Wald, scheint eine gew1isse Faszination auszugehen. Das erklärt, warum seit Monaten Peter Wohllebens Buch, „Das geheime Leben der Bäume“, ganz oben in den Bestsellerlisten steht. Untertitel: „Was sie fühlen und wie sie kommunizieren“. Gerade die Frage der baumlichen Kommunikation ist spannend. Sprechen sie, können sie schreiben? Treffen sie sich in Lesezirkeln, um sich über Wohllebens Buch auszutauschen? Oder scheitert es daran, dass Bäume nicht in die Buchhandlung gehen können? Auch Bestellungen im Internet fallen ihnen schwer, weil sie mit ihren dicken Ästen die Maus nicht bedienen können. Müssen die Freiwilligen von „Bücher auf Rädern“ ran?
1Können Bäume außer draußen rumstehen noch was anderes, glauben zum Beispiel? Sind sie empfänglich für fundamentalistischen Mummenschanz oder neigen sie eher einer der Naturreligionen zu? Empfinden es Nordmanntannen als Karrierehöhepunkt, wenn sie zur Weihnachtszeit mit Lametta, Glaskugeln und einem Stern an der Spitze in menschlichen Wohnungen herumstehen dürfen?
Ist Nordmanntanne überhaupt ein angemessener Begriff? Spricht er nicht von einem menschenzentrierten Weltbild? Was würden die wahren Nordmänner, die Wikinger, davon halten, wenn man sie als Nordtannenmänner bezeichnete? Gäbe das nicht jede Menge Ärger mit Halvar und dem schrecklichen Sven?
Baum und Gender
Wenig bekannt ist über die Hierarchie und das Sozialverhalten der Bäume. Gibt es Herrenbäume, üble Rassisten und Nationalisten auf der einen Seite und aufrechte Unterdrückte auf der anderen? Deutsche Eiche versus afrikanische Hartlaubpampelmuse? Wie stark ist die Genderbewegung? Kämpfen männliche Birken darum, als „der Birk“ auch sprachlich sicht- und hörbar zu werden? Werden schwule Ulmen diskriminiert? Gibt es unter Kiefern erfolgreiche Transgendermodels? Die Aufzählung zeigt, wie wenig wir Menschen über unsere am Straßenrand und in den Wäldern lebenden Mitgeschöpfe wissen. Peter Wohllebens verdienstvolles Buch kann hier nur erste Antworten geben.
Eine gewisse Einseitigkeit ist in der Baum-Mensch-Beziehung allerdings festzustellen: Dem Baum scheint der Mensch ziemlich schnuppe zu sein. Auf den Song „Meine Freundin, die Alexandra, ist tot“, gesungen von einer Esche oder einer Trauerweide mit gemischtem Muschelzypressenchor als Backvocals, warten wir bislang vergeblich. Doch Einseitigkeit ist nichts, was für Beziehungen untypisch wäre.
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