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Die WahrheitIn Zürcher Zügen

Cornelius Oettle
Kolumne
von Cornelius Oettle

In der Schweiz ist bekanntlich alles wie früher, nämlich besser: Schokolade, Käse, Gehälter.

W er sich keinen winterlichen Aufenthalt in der Schweiz leisten kann (ein Viertele Glühwein kostet sechs helvetische Franken, macht 5 Euro 15), der vermag zumindest eine Zugfahrt ins neutrale Land zu erschwingen. Die ist ohnehin das Beste am Schweizurlaub und vergleichsweise günstig (Berlin nach Zürich ab etwa sieben Glühwein). Die anderen Deutschen im Waggon erkennen Sie übrigens daran, dass diese kurz nach der Grenzüberquerung plötzlich mit Ihnen schnacken wollen. Ohne Internetzugang ist auch das modernste Smartphone eben nur ein Handy.

In der Schweiz ist bekanntlich alles wie früher, nämlich besser: Schokolade, Käse, Gehälter. Und das gilt auch fürs Personal. „Wer will freundliche Schaffner seh’n? Der muss zu den Schweizern geh’n“, heißt es im Kinderlied. Nach obligatorischem „Grüezi mitenand!“, lobt der leutselige Billeteur den ticketbesitzenden, sich schon bald wie ein Toptalent der Schienenverkehrsnutzung fühlenden Gast mit „Super! Spitze! Merci!“ Als hätte der gen Zürich Reisende seine Hausaufgaben ganz besonders elegant gelöst – und wäre es nicht schlicht die von ihm zuvor akzeptierte Beförderungsbedingung, für eine Fahrt auch den entsprechenden Fahrschein vorzuweisen.

Doch es kann noch besser kommen, und das in Gestalt einer kleinen, freundlichen Frau großmütterlichen Erscheinungsbilds, die stricken und Katzen füttern sollte, hier aber weder strickt noch Katzen füttert, sondern statistische Erhebungen durchführt. „Wieso reisen Sie in die Schweiz? Wie lange bleiben Sie? Was Sie dann dort machen, ist uns egal, hihi!“ Darauf ist freilich zu antworten, denn die Dame ist alt, und wer alt ist, der weiß, wie man sich Gehör verschafft.

Und deshalb geht es weiter: „Haben Sie schon mal in einem Fernverkehrszug mit dem Handy telefoniert?“ Folgefragen witternd, lügen die meisten und sagen: „Nein!“ Man sollte der Fragenden aber die Freude bescheren und mit „Jawohl!“ antworten. „Und wie lange telefonieren Sie? Ein oder zwei Minuten? Drei bis fünf?“ Pah! An dieser Stelle geht man dann in die Vollen – 15, ach was, 30 Minuten! Das Omiherz soll schließlich glühen.

Und deshalb geht es weiter: „Gibt es Gründe, die Sie am Telefonieren hindern? Reißt die Verbindung ab, wollen Sie die anderen Gäste nicht stören?“ Gut, klar, stören will man natürlich niemanden, so ehrlich muss man dann schon sein. „Würden Sie denn, gäbe es diese Gründe nicht, länger telefonieren?“ Ja sicher, Gnädigste, die ganze Fahrt lang würd ich’s tun! Nur Ihnen zuliebe! Glücklich zieht die Statistikerhebende dankend ihres Weges, während man selbst gewahrt, den Ausstieg verpasst zu haben.

Draußen wird das Schild „Zürich HB“ kleiner und kleiner. Wenig später wirft einen der nachfolgende, leider weniger nette, also wahrscheinlich deutsche Schaffner, hinaus. Das erste Mal Schwarzfahren kostet in der Schweiz umgerechnet 15 helvetische Glühweine. Es lohnt sich.

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Cornelius Oettle
Cornelius W. M. Oettle kam in der kältesten Novembernacht des Jahres 1991 in Stuttgart zur Welt und weiß nicht, warum. Zur Überbrückung seiner Lebenszeit schreibt er als freier Autor für alle, die sich ihn leisten können. Seine Tweets aber sind und bleiben gratis.
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