Die Wahrheit: Brokkoli, mon amour
Wenn ein Gemüse eine hymnische Würdigung verdient hat, dann ist es das knubblige grüne Wunderwerk der Natur.
J eder wird sofort zustimmen, dass es nicht länger warten kann, dem edelsten aller Gemüse eine hymnische Würdigung zu widmen. Vorweg: Besser als ich kann das keiner. Brokkoli ist für mich nicht nur bloßes Nahrungsmittel, sondern Lebensstil und -gefühl. Wenn ich Freunde zum Essen einlade, begeistert sie schon die Tischdekoration aus blühendem Brokkoli und macht Lust auf mehr. Und mehr gibt es auch: Ich serviere Brokkolisuppe, später einen ganzen Brocken Brokkoli, flankiert von Brokkoliröschen und Brokkolisaft, als Dessert reiche ich Tiefkühlbrokkoli am Stiel – und das mit Stil.
Wer den Brokkoli nicht ehrt, ist der eigenen Existenz nicht wert. Denn Brokkoli ist ein Wunderwerk der Natur: Dass zum Beispiel Kohl im Gegensatz zum gleichnamigen Exkanzler von Ernährungsexperten als äußerst gesund eingestuft wird, entlockt dem bombastischen Brokkoli nur ein müdes Lächeln: Fünfmal so viel Kalzium, beinahe doppelt so viel Vitamin C, fünfzehnmal so viel Betacarotin und achttausendmal so viel Anmut besitzt der Brokkoli!
Brokkolisamenöl wird zur Haar- und Gesichtspflege verwendet, weil Menschen so schön sein wollen wie Brokkoli. Brokkoli sei „eigentlich kein Gemüse mehr, sondern fast schon Medizin“, schreibt die Ernährungsratgeberautorin Margot Hellmiß und unterschlägt dabei, dass dieses „Pornogemüse“ (Cornelius Oettle) eigentlich keine Medizin mehr ist, sondern Gott.
Wer das Dasein liebt, der liebt auch il Broccolo, und ebenso sehr liebt er Katharina von Medici, die als Königin Frankreichs zwar 1572 die Pogrome der Bartholomäusnacht anordnete und tausende Hugenotten abschlachten ließ, doch vieles wettmachte, indem sie den bis dato lediglich in Kleinasien und Italien bekannten Brokkoli nach Frankreich brachte, von wo aus er unter dem entsetzlichen, Brechreiz verursachenden Namen „Italienischer Spargel“ nach England und in die USA geschifft wurde. Nur wir esskulturbanausischen Deutschen brauchten wieder am längsten, um gescheit zu werden.
Und diese Vielseitigkeit! Nicht nur auf dem Esstisch, auch bei der Arbeit und im Schlafzimmer sorgt der Brokkoli für Freudenfeuer inkommensurablen Ausmaßes. Geht mir etwa mein Chef mal wieder so richtig auf die Knospe, bewerfe ich ihn einfach mit ein bisschen Brokkoli, woraufhin wir beide kichern und uns an der Köstlichkeit laben. Will es im Bett nicht klappen, reicht oft schon der Gedanke an das geile Gewächs. Ja, Brokkoli führt Menschen zusammen: Treffen etwa zwei gute Freunde, zwei echte „Bros“ aufeinander, spricht man vom „brokollidieren“.
Zudem ist Bruder Brokkoli ob seiner Vollverwertbarkeit ein wahrer Ökologentraum: Neben den deliziösen Röschen lassen sich auch Stängel und Blätter verzehren. Einzig die Biotonne leidet, kommt sie so doch niemals in den Genuss dieser gaumengnädigen Geschmackswohltat. Nörglern, die allen Ernstes glauben, es gebe ein vergleichbares Gemüse, sei abschließend gesagt: Der Brokkoli und ich, wir haben laut gelacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!