Die Wahrheit: Und Russland dankt
Insgesamt 570 Megatonnen Zahnstein als neues Mittel der Völkerfreundschaft: Wie wir dem Iwan helfen, ohne dass es uns etwas kostet.
![drei Sandhaufen neben einer Allee auf dem flachen Land drei Sandhaufen neben einer Allee auf dem flachen Land](https://taz.de/picture/2057010/14/WahrZahnsteinKromschroeder14062017.jpeg)
Fast jeder hat sie schon einmal erblickt, aber kaum jemand weiß, woraus sie bestehen, die weißgrauen Haufen, die jetzt überall am Straßenrand lagern.
Es sind dezentrale Zahnsteinsammellager, die einem guten Zweck dienen, wie der Kieferorthopäde Dr. med. Hans Pieroth erklärt: „Früher wurde der abgeschliffene Zahnstein deutscher Patienten oft einfach weggeworfen. Heute heben wir ihn auf und liefern ihn nach Russland. In Kiew, Minsk und Nischni Nowgorod werden daraus Kunstzähne für Russen hergestellt. Dem Zahnstein muss nur etwas Klebstoff beigemischt werden, damit er sich zu stabilen Implantaten verbinden lässt. In Russland sind künstliche Gebisse aus deutschem Zahnstein sehr gefragt, und auch beim Chinesen wächst das Interesse . . .“
Zurzeit wird das Material noch auf altertümlichen Lastkraftwagen in den Osten transportiert. Es ist aber schon eine Pipeline im Bau, um die Sache zu beschleunigen. Zu verdanken haben das die Russen dem unermüdlichen Unterhändler Gerhard Schröder, der seit Neuestem auch die Interessen der russischen Gesellschaft für Oralchirurgie vertritt. Und er denkt bereits weiter: „3-D-Drucker für Konkremente sind die Zukunft. Dann können wir uns den ganzen Zirkus hier sparen.“
Keine verderblichen Einflüsse
Doch so weit ist es noch nicht. Momentan werden täglich rund 200 Tonnen Zahnstein mit konventionellen Methoden aus Deutschland abgeholt. Deutscher Zahnstein gilt als besonders hochwertig, weil er zumeist von Zähnen herrührt, deren Besitzer sich ihr Leben lang gesund ernährt haben und von Cheruskern abstammen, die ihrerseits niemals den verderblichen Einflüssen der romanischen Küche ausgeliefert waren.
Interessant am Rande: Schon bevor die Griechen ihre ersten Handelswege eröffneten, soll zwischen dem Teutoburger Wald und dem prädynastischen Ägypten eine Zahnsteinstraße existiert haben, ähnlich der berühmten Seidenstraße, über die seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert ein Austausch von Gütern zwischen Ostasien und den Mittelmeerländern abgewickelt wurde. Nach neuesten archäologischen Erkenntnissen setzen sich die Pyramiden von Gizeh großenteils aus verbundfestem Zahnstein der alten Germanen zusammen.
Auch das vorvergangene Woche in einem Altmetallcontainer in der englischen Grafschaft Gloucestershire entdeckte Schwert Excalibur des keltischen Königs Artus hat sich inzwischen als Produkt aus altgermanischem Zahnstein erwiesen, und seit Längerem ist bekannt, dass die Gebeine des einstigen kongolesischen Präsidenten Mobutu gemäß seiner testamentarischen Verfügung in einem Mausoleum ruhen, das mit Material aus der sehr umfangreichen Zahnsteinsammlung eines Dentisten aus Bad Gandersheim errichtet worden ist.
„Ich will das nicht hochspielen, aber man kann durchaus behaupten, dass der deutsche Zahnstein das Gold des 21. Jahrhunderts ist“, sagt Dr. Pieroth schmunzelnd. „Doch es gibt natürlich regionale Unterschiede. Zahnstein von Helgoländern steht am höchsten im Kurs, vermutlich wegen der gesunden Luft, und am seltensten wird Zahnstein aus dem thüringischen Vogtland nachgefragt. Die Leute scheinen da irgendwas in ihrem Speichel zu haben, das die Qualität des Zahnbelags vermindert. Ob das auf äußere Einflüsse wie Abgase oder minderwertiges Schweinefleisch zurückgeht oder auf biologische Faktoren wie Degeneration und Inzucht, kann ich nicht sagen.
Anruf von Gerhard Schröder
Letzten Endes geht es ja auch nicht um den Profit. Für mich ist es eine Herzensangelegenheit, Bedürftige mit Plaque aus Deutschland zu versorgen. Und der Gerhard Schröder macht da einen Bombenjob, muss ich sagen. Der hängt sich richtig rein. Vor zwei Wochen ist im Ural einer unserer Lastzüge mit drei Tonnen exquisiter Ablagerungen aus den Zahnfleischtaschen oberhessischer Witwen liegengeblieben, mit Achsenbruch, bei minus vierzig Grad, und da hat der Gerd mal eben kurz im Kreml angerufen, und drei Stunden später waren vier Helikopter vor Ort und haben das Zeug noch rechtzeitig sichergestellt. Denn es ist ja leider nicht kälteresistent. Spätestens nach fünf, sechs Tagen bei Temperaturen unter null muss es weiterverarbeitet werden, sonst ist es hin. Wir versetzen die Zahnbeläge seitdem vorsichtshalber mit Frostschutzmittel, was ihre Güteklasse zwar etwas herabsetzt, aber der Russe ist ja bekanntermaßen stark im Nehmen. Der wird das verkraften . . .“
Und Russland dankt: Für die Lieferung von bislang insgesamt 570 Megatonnen Zahnstein wird sich der eurasische Vielvölkerstaat demnächst erkenntlich zeigen, indem er der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover ein zwölf Meter hohes, von Moskauer Vorschulkindern gestaltetes Gerhard-Schröder-Denkmal aus bakteriellen deutschen Zahnbelägen schenkt.
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