Die Wahrheit: Focaccia aus Focaccien kaufen!

Emmanuel Macron hin oder her, das Ende Europas kommt. Und was bedeutet das für den Verbaucherschutz und mich als Konsument?

Foto: Leo Riegel

Noch sieht es wie reines Wunschdenken aus: Wenn jedoch noch mehr Mitgliedsländer den Brexit nachahmen, ist das Ende der Europäischen Union eine realistische Option. Viele Verbraucher sind verunsichert, befürchten, sich jetzt tatsächlich mal über Politik informieren zu müssen. Die Wahrheit erklärt, wann und wie stark Sie jetzt in Panik geraten müssen.

Das Ende – wie realistisch ist es eigentlich?

Zunächst einmal: Bleiben Sie ruhigen Mutes. Das Vertragswerk der Europäischen Union ist über sechzig Tonnen schwer, liegt hinter schwerem Bleikristall in einem unbekannten Bunker bei Brüssel und ist in mehreren Fremdsprachen abgefasst, dadurch ist es nahezu unangreifbar. Tragend sind vor allem die Gründungsmitglieder Deutschland und Frankreich, denn für die beiden wird der ganze Zauber ja schließlich durchgezogen. Nur wenn diese beiden sogenannten Achsenmächte wackeln, ist der Euxit (Austritt der EU aus der EU) wirklich denkbar. Mit Emmanuel Macron haben wir noch mal fünf Jahre gewonnen, dann wird man sehen.

Woran merke ich, dass die EU ihrem Ende zugeht?

Das Ende kommt wie immer schleichend: Die Betroffenen werden zunächst über Kopfschmerzen, grippeähnliche Beschwerden und eine stark schwindende Körper- und Kaufkraft klagen; dann ist es leider auch schon zu spät. Im Radio wird zum letzten Mal die Eurovisionshymne gespielt, dann holt man in den großen Behörden die Europafahnen ein, um sie unter leisen Beethovenklängen feierlich im Hof zu verbrennen. Das ist dann auch der Startschuss für totale Anarchie und Plünderungen sowie die post­apo­ka­lyp­tische Endzeitwelt, die unmittelbar danach anbricht.

Totale Anarchie? Meinen Sie das ernst?

Nein, nein, nein, nur ein kleiner Spaß! Wir sind hier schließlich bei einem Verbraucherberater, da darf am Schluss niemals so was wie Beunruhigung oder Verhaltensänderung bei Ihnen übrig bleiben, sonst hätten wir auch unseren Job nicht richtig gemacht. Es gelten ja innenpolitisch immer noch die Gesetze der jeweiligen Länder; nur die Haushalts-, Handels-, Außen- und Finanzpolitik ist stark mit der europäischen Gesetzgebung verzahnt. Ein kraftvolles Exportland wie Deutschland stemmt das im Handumdrehen!

Das wird mir jetzt alles ein bisschen zu politisch. Wichtig ist doch die Frage, ob sich am Supermarkt­sortiment etwas ändert.

Da haben Sie Glück: Auch wenn die EU plötzlich endet, steht es den ehemaligen Mitgliedsstaaten natürlich frei, weiterhin untereinander Handel zu treiben (siehe Erklärung der Menschenrechte). Mit dem Chaos in den Ämtern, neu erhobenen Zollschranken und all den anderen Folgen des EU-Endes werden einige Produkte jedoch vermutlich so gut wie unbezahlbar. Was Sie nicht hindern soll, sie trotzdem zu kaufen – Sie müssen dann einfach einen besseren Job annehmen.

Ähm, welche Produkt­gruppen werden denn nun genau betroffen sein?

Keine Sorge: Es wird in der Hauptsache um Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs gehen, also ausschließlich Waren, an die Sie sich mittlerweile gewöhnt haben. Das EU-Ende wird also eine schöne Gelegenheit, Ihre Konsumgewohnheiten zu hinterfragen und Ihr Leben neu zu ordnen. Das Bundesamt für Katastrophenschutz hat für Fälle wie diese ein weitreichendes Netzwerk von Lagerstätten aufgebaut, aus denen die Bevölkerung notfalls bis zu einem Jahr lang ernährt werden kann. Bis dahin dürfte die deutsche Landwirtschaft so umgestellt sein, dass sie das Land autonom versorgen kann. Für Sie heißt das dann: Runkelrüben, Kleie und Rapsölbratlinge satt!

Das klingt ja grässlich.

Das hören wir sehr oft. Viele Leute glauben ja, dass die EU einfach nur ein bürokratisches Monstrum ohne besonderen Sinn und Zweck ist. Und dass es bei Referenden vor allem darum geht, „denen da oben“ mal einen richtig heftigen Denkzettel zu verpassen, nach dem dann aber im Wesentlichen alles so weitergeht, wie man es gewohnt war. Wissenschaftler haben jetzt aber herausgefunden, dass Wahlen und Abstimmungen tatsächlich Einfluss auf Politik und Wirtschaft haben und nicht nur so ein symbolisches Rumgejuxe sind.

Das wusste ich nicht! Ich dachte, das wird hier jetzt so ein heiterer Artikel, in welchem meine diffuse Europaskepsis bedient wird, ohne dass mein links­liberales Selbstverständnis infrage gestellt wird.

Das wird uns jetzt zu politisch, wir sind schließlich nur eine kleine Verbraucherredaktion. Könnten Sie uns jetzt bitte wieder etwas zu Konsum fragen?

Oh, okay. Na gut: Wenn alles teurer und komplizierter wird, sollte ich mich vielleicht schnell ins Ausland absetzen, nachdem ich die EU zu Klump gewählt habe?

Das klappt sicher! Verarmte und zerlumpte Gestalten, die aus einem heillosen Schlamassel einfach nur ihre Haut retten wollen, wurden ja schließlich auch von der EU mit Kusshand aufgenommen. Übrigens finden wir es erstaunlich, dass in einem Milieu, in welchem immer über Flüchtlinge und Deserteure aus Syrien gelästert wird, gleichzeitig immer schnell auch Gedanken ans Auswandern gepflegt werden.

Was, Moment! Ich habe noch nie über Flüchtlinge … na gut, dieses eine Mal. Aber das war in einer gelösten Stammtischatmosphäre, das muss ja doch erlaubt …

Ist es nicht beziehungsweise nicht mehr, sobald die Europäische Union auseinanderfällt: Die europäischen Normen für gelöstes Stammtischgeplauder sind dann nämlich ebenfalls nicht mehr gültig; es gelten dann wieder die nationalen Vorschriften, die teilweise viel strenger sind.

Stichwort D-Mark – kommt sie zurück?

Das steht derzeit noch in den Sternen! Zuletzt wurde sie auf dem Balkan gesehen, wo sie sich mit den Einheimischen vergnügte. Bisher hat sie weder angerufen noch geschrieben; es scheint ihr also ganz gut zu gehen. Abgesehen davon haben die meisten Leute doch längst vergessen, wie sie aussah – hier wäre einer raffinierten Betrügerin Tür und Tor geöffnet. Das kann keine wirkliche Alternative für ein enteuropäisiertes Deutschland sein.

Zweitstichwort Martin Schulz – geht er wieder weg?

Diese Frage ist schon leichter zu beantworten. Als erster Bürger Europas ist Martin Schulz selbstverständlich europäischer Staatsbürger; verschwindet Europa, dann auch er. Dass es mit Europa derzeit nicht so gut läuft, ist auch daran zu sehen, dass Martin Schulz durchsichtiger wird (derzeit schlappe 20 Prozent). Zwar könnte Herr Schulz vor seinem endgültigen Verblassen noch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen – doch das Verfahren könnte sich eventuell länger hinziehen als der Tod der EU.

Ich finde es schade, dass mich dieser Artikel jetzt mit einem etwas unguten Gefühl zurücklässt. Kann ich dagegen etwas machen?

Ja! Laufen Sie sogleich in den Supermarkt und kaufen Sie französischen Rotwein, belgische Pralinen, Blumen aus Holland und Focaccia aus Focaccien. Spüren Sie noch einmal das Leben, lassen Sie es sich noch einmal so richtig gut gehen – denn dieses Leben werden Sie sich bald schon nicht mehr leisten ­können.

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kari

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