piwik no script img

Die WahrheitVerarsche-Väter, Klamauk-Mütter

Komische Parteiengeschichte: Wenn Satiriker zu Politikern mutieren, hört der Spaß auf und die Strompreise ziehen an.

Illustration: Rattelschneck

Was tun, wenn die Weltlage an ihrem Ernst erstickt? Wenn den Leuten die ganz normale Politik über die Hutschnur wächst? Wenn Staat und Gesetz nur dazu dienen, die Politiker täglich dicker und die Armen immer nackter zu machen? Wenn Wirtschaft und Gesellschaft aus den Fugen gesprungen sind, aber egal weiterrollen? Wenn es seit Jahren fünf vor zwölf ist – und die Uhr meterbreit nachgeht?

Die eine Lösung besteht darin, seinen Verstand auf Nullstellung zu drehen: Der gemeine Feld-, Wald- und Wiesenmensch, bei dem der Fahrstuhl nicht bis oben fährt, knetet sich Verschwörungstheorien zurecht und hat stets jemanden, dem er die Schuld in die Hose schieben kann. Die andere Lösung bestünde darin, ein System, das bis unter die Haut auf Ausbeutung und Verblendung beruht, mit einem großen Knall auszuhebeln und auf der mit dem Knochenmehl der Kapitalisten gepuderten Straße jauchzend in eine lichte Zukunft zu rudern.

Diese Lösung tickt also auch nicht ganz richtig. Was aber sonst? Ganz einfach: Wenn die Welt am Ernst der Lage erstickt, wie eingangs bewiesen, sinkt man den Clowns in die Arme. Etwa dem Kabarettisten Beppe Grillo in Italien, der 2012 die Fünf-Tassen-, pardon: Fünf-Sterne-Bewegung aus dem Schrank zauberte, die gleich bei ihrer ersten Parlamentswahl 2013 ein Viertel aller Italiener an sich riss.

Oder dem Radiokomiker Jón Gnarr in Island, der 2009 die „Beste Partei“ zeugte und sich 2010 dank Forderungen nach „Gratishandtüchern in Schwimmbädern“ und einem „drogenfreien Parlament 2020“ in den Bürgermeister von Reykjavík verwandelte. Wobei sein Versprechen, nach der Wahl alle Versprechen zu radieren, den Wählern sehr bekannt in den Ohren knisterte, nur dass es freihändig ausposaunt wurde und als Satire konsumiert werden durfte.

„Schwerter zu Bierhumpen“

Bereits 2004 war in Deutschland, wie hinlänglich bekannt, von Titanic-Redakteuren die Partei „Die PARTEI“ ausgebrütet worden, die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“. Aber sie war nicht das erste Exemplar dieser Gattung, eher schon die Deutsche Biertrinker Union DBU: Sie beteiligte sich im März 1990 mit der Parole „Schwerter zu Bierhumpen“ in Rostock an der Volkskammerwahl und im Oktober dann an der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, blieb allerdings beide Male mit 0,4 Prozent und 0,6 Prozent weit unter den nötigen Volumenprozent.

Mehr Erfolg hatte in Polen (östlich von Berlin) die Polnische Partei der Bierfreunde, die 1991 bei den Wahlen zum Sejm 16 gut gekühlte Sitze holte. Als die Partei sich aber in einer schrägen Bierlaune in zwei Fraktionen teilte – Male Piwo und Duże Piwo, Kleines Bier versus Großes Bier –, war das der Zapfenstreich für beiderlei Bierfreunde.

Der Osten wurde ab 1989 gründlich durchgeschüttelt, und nach kurzer Irritation wollten seine Bewohner doch auf scheinbar normal gewachsene Politiker setzen. Es brauchte über 20 Jahre, bis als Gegenbewegung zur neuen fest verschraubten Bonzokratie wieder Parteien des etwas anderen Typs aufblühten. In Ungarn trieb die wuchernde Unzufriedenheit die „Ungarische Partei des zweischwänzigen Hundes“ hervor, deren fetteste Forderungen die nach ewigem Leben, Freibier (siehe oben) und Weltfrieden sind. Als 2016 eine Volksabstimmung über die Flüchtlingspolitik das Land aufwühlte, half die Partei, die von der Regierung ausgeheckten Verschärfungen zu zertrümmern, indem sie deren geplante Maßnahmen zur Kenntlichkeit verblödelte: Sie schlug unter anderem vor, über Ungarn hinweg eine Überführung für Flüchtlinge zu bauen.

Partei der Kacke

Viel weiter hinten auf der Landkarte, in Armenien, wurde zur selben Zeit die „Kackpartei“ erfunden. Angeführt von dem 52-jährigen Komiker Sergej Danieljan, tritt sie unter der Devise „zusammen scheißen“ an und verspricht, „das Land noch effektiver zu verarschen“, als es Parlament und Regierung bisher vermochten. Mit dem Satz „Die Kacke ist überall in Armenien“ beziffert sie die aktuelle Lage. Die riecht anderswo ähnlich; statt aufs große Ganze setzt man aber in der Ukraine erst mal aufs naheliegende Örtchen, auf die Kommunalwahlen: In Odessa bot im Oktober 2016 der „Darth Vader Block“ über 60 entsprechend aufgemotzte Krieger auf. „Darth Mykolajewytsch Vader“ flatterte im Star-Wars-Kostüm auf Platz 15.

Ein Dienst auf der dunklen Seite der Macht blieb ihm damit vorerst erspart. In Serbiens Kapitale Belgrad hingegen konnte im April 2016 die Partei „Du hast noch nicht die Sarma probiert“ (Sarma sind gerollte Weinblätter) mit ihrer Liste „Hau rein!“ 20 Prozent der Stimmen eintüten und mit zwölf der 55 Sitze zur zweitstärksten Kraft anschwellen. Im Wahlkampf ritt ihr Anführer, der Kommunikationsstudent Luka Maksimović alias „Beli“, der Weiße, im weißen Anzug auf einem weißen Schimmel über den YouTube-Bildschirm und verulkte mit Forderungen nach einer „hohen Rente für alle“ sowie einem Strand am Meer mitten in Belgrad die leeren Versprechungen der gängigen Politiker. Für sie hatte er die „Legalisierung der Korruption“ im schön frisierten Programm.

Ein Staatspräsident segelt auch nicht weit unterhalb jeder Macht wie Martin Sonneborn, den die PARTEI im Europaparlament befestigt hat

Mittlerweile besiedelt Beli nicht mehr den Rand der politischen Landschaft: Bei den Anfang April ausgetragenen Präsidentschaftswahlen in Serbien holte er Bronze. Gleich nach dem Abpfiff verkündete er sogar noch, er habe mit Zweidrittelmehrheit gewonnen, sei aber mit dem Ergebnis unzufrieden.

Was aber, wenn …? Der Präsident Serbiens ist ja nicht ganz so machtlos wie die Bürgermeisterin von Dorset im US-Bundesstaat Minnesota, nämlich die vierjährige Gwendolyn Davis. Ihre Wahl ist Reklame und bezweckt, außer Fuchs und Hase auch geldgefüllte Touristen in die 22-Seelen-Gemeinde zu locken. Ein Staatspräsident segelt auch nicht weit unterhalb jeder Macht wie Martin Sonneborn, den die PARTEI im Europaparlament befestigt hat.

Zum Glück? Aufgabe der Kritiker ist es nach Adam Riese, die Kritik zu machen; Aufgabe der Satiriker ist es, die Satire zu machen. Das, was kritisch beäugt oder satirisch hochgenommen wird, besser zu machen, ist nicht ihre Aufgabe. Der Rest der Menschheit soll auch was zu tun haben.

Heißt: Solange es vollgetankt ums Bloßstellen und Entlarven eines hohlen oder semikriminellen Betriebs, ums Verkaspern eingebildeter, unfähiger, geschmierter oder verblödeter Politiker geht, solange es lustig und lustvoll um Aufklärung geht, um bei dieser Gelegenheit dieses große Wort aufzuwärmen, solange kann das Spiel sogar zwanzigprozentig aufgehen. (Dass es ein Spiel von und für die Gebildeten, von und für die ewige Mittelschicht ist: klar. Nur wer keine tödlichen Sorgen hat, aber frei herumhängende Zeit, kann sie mit Spielen vollstopfen. Gut dem Dinge!) Doch sobald aus der Satire berufsfremder Ernst wird, beginnt ein langes Aber.

Im isländischen Reykjavík führte Jon Gnárr als Erstes einen „Guten-Tag-Tag“ ein, damit die Einwohner sich an jedem 1. September einen guten Tag zuwinken. Danach rollten schlechtere Tage auf sie zu. Gnárr erhöhte die Strompreise, entließ städtische Angestellte, strich Zuschüsse für die Musikschulen, erhöhte die Steuern und hatte schließlich den Haushalt der Hauptstadt glattgebügelt wie ein hundsnormaler Politiker.

König des Kalauers

Der Komiker Coluche wollte 1980 Präsident Frankreichs werden, womit die oben aufgetürmte Frage nach dem Erfinder der Politikclownerie zumindest teilweise beantwortet wäre: Ein Urvater der Bewegung war in den USA Pat Paulsen von „Saturday Night Live“, Amerikas King of Kalauer, der erstmals 1968 zur Präsidentenwahl antrat. Außerdem war da noch Lord Sutch, der mit seiner Official Monster Raving Loony Party als Mutter aller Spaßkandidaten bei den britischen Unterhauswahlen seit 1983 jedes Mal viele Stimmen absahnte und in den neunziger Jahren als britischer Premierminister in der Bierwerbung von Heineken auftrat.

Coluche aber gab 1980 rechtzeitig auf, obwohl er in Umfragen gleich 15 Prozent Zustimmung erntete. Lieber gründete er die „Restaurants der Herzen“, um den Armen Speis und Trank zu überreichen. Wenigstens einer, der tatsächlich etwas für die Menschheit getan hat, bevor er 1986 mit 41 Jahren starb.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!