Die Wahrheit: Sekret, Spargel und Sinn
Auf einer Radtour am Niederrhein entlang der holländischen Grenze gibt es seltsames Essen in schrägen Restaurants mit ekligem Namen
K ürzlich radelten wir durch eine nettes Tal namens Nettetal an der holländischen Grenze. Ein staubiges Spargelfeld reihte sich ans nächste. Diese abwechslungsreiche Idylle wird komplettiert durch zahllose Gasthäuser, in denen man Spargelgerichte genießen kann, grenzübergreifend in blassgelber holländischer Soße ertränkt.
Im B&B angekommen, fragten wir die Vermieterin, ob sie uns ein Restaurant empfehlen könne, dessen Speisekarte nicht mit „S“ beginne und gleich auf „pargel“ wieder ende. „Sekret, um die Ecke“, lautete die ortsüblich staubtrockene Empfehlung. Wir waren sofort Feuer und Flamme, freuten uns auf gedünstete Lungenembolien an Rotzschäumchen mit abschließendem Eiterlikör-Digestif. Welche Enttäuschung, dass der Laden Secretis hieß und mit seiner berühmten regionalen Küche drohte. Auf der Webseite gucken dich Spargelstangen an, die aussehen wie ein Haufen toter Nacktmulle.
Wir aßen dann lieber Pizza bei „Mario“, der sich als eine Art Helmut entpuppte und weder Italienisch noch Pizza konnte. Aber er beherrschte die große Kunst, auf 29 Zentimeter Teigdurchmesser 7.000 Kalorien unterzubringen – in Form eines zentimeterdicken, an vertrocknete Hollandaise erinnernden Käsebriketts. Unter dem Brikett befand sich eine an Sauerstoffmangel verstorbene Tomate, die es nicht mehr zu dem einsamen Oregano-Blatt am anderen Ende des Pizza-Äquators geschafft hatte.
Um das Ganze hinunterzubekommen, bestellten wir ganz schnell ganz viel „Das Bier von hier“, das wirklich so hieß, zumindest im Untertitel. Es schmeckte so, als hätte es der Wirt vom Sekret persönlich ins Glas uriniert.
Als gelernter Ruhrgebietsbewohner kann einem so etwas nichts ausmachen. Man verspeist in den örtlichen Imbissstuben traditionell Gerichte, die anderswo nicht mal als Straßenbelag Verwendung finden würden. Für Koch und Kunde stellt sich in diesen Breiten exakt dann eine harmonische Win-win-Situation ein, wenn auf die Koch-Frage „Satt?“ die Kunden-Antwort „Jau, pappsatt!“ gerülpst wird.
Wie es wohl im Aschlöksken sein wird, jene legendäre am Fluss gelegene Gartenwirtschaft an der Grenze zwischen Duisburg und Düsseldorf, der wir am nächsten Wochenende einen Besuch abstatten wollten? Der Name soll laut Recherche nichts mit „Arschloch“ zu tun haben, sondern mit „Ascheloch“ wegen der Kohleschiffe, die dort früher ihre Ladung gelöscht haben.
Aber wo „Aschlöksken“ dran steht, ist auch „Aschlöksken“ gemeint, wo bliebe da sonst die Sinngebung? Man nennt ja auch niemanden „Kackbratze“, wenn man nicht auch „Kackbratze“ meint. Sonst würde ich ja „Heiopei“ sagen. Der Ruhrgebietler kennt nämlich viele Wörter, von denen er selbst nicht weiß, ob er damit jemanden beleidigt oder nicht. Aber „Aschlöksken“ ist ganz klar „Kackbratze“ und nicht „Heiopei“, und „Heiopei“ ist eher wie „Pillerkopp“. Ist doch ganz klar! Und wenn nicht: Egal, geht mir sekret am Asch vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!