Die Wahrheit: Vom Vergrätzen der Vögel
Nestbau auf dem Balkon: Tauben! Die ihre Familienplanung in Angriff nehmen! Da hilft nur eins: härteste Gegenmaßnahmen.
I ch habe einen Vogel, einen Raben. Ich habe ihn mir gestern für 3,99 Euro gekauft, ein Modell mit ausgebreiteten Schwingen, aus Vollplastik. Es ist sozusagen die 3-D-Version der Silhouetten, die auf große Fensterflächen geklebt werden und andere Vögel abschrecken sollen. Bei mir muss der Rabe die Tauben vertreiben. Seit Tagen versucht ein Paar, auf unserem Balkon sein Nest zu bauen. Oberhalb der Markise, unterhalb der Traufe. Ein offenbar sicheres und trockenes Plätzchen, so aus Taubenperspektive.
Wir hatten den gleichen Ärger bereits im vorletzten Jahr, als wir im Urlaub weilten und nach unserer Heimkehr ein vollständiges Nest mit zwei niedlichen Taubeneiern zu entsorgen war – während die Eltern auf dem Dach gegenüber so finster guckten, wie Tauben nur gucken können, also nicht besonders finster, man interpretiert da allerhand hinein.
Das Nest sah aus wie etwas, das Ai Weiwei im Halbschlaf aus Zweigen flechten könnte. Allerdings sah auch der Balkon aus, als hätte dort für zwei Wochen ein übergewichtiger Chinese mit exsudativer Diarrhö gehaust (Bonus-Tipp: Nicht vor dem Frühstück googeln, was „exsudative Diarrhö“ ist und wie sie aussieht). Vergangenes Jahr war Ruhe, weil da bereits ein Rabe hing, den allerdings der Herbstwind mitnahm.
Und jetzt ging es eben wieder los. Zuerst lagen nur ein paar vereinzelte Flaumfedern und Ästchen auf dem Balkon. Dann beobachtete ich die Tauben, wie sie im Flug das Material beischafften. Ich bin selbst Vater und kann nachvollziehen, dass man dem Nachwuchs in den ersten Monaten ein möglichst sicheres und trockenes Plätzchen bereiten möchte. Und wenn mir jemand das Eigenheim unterm Hintern wegziehen und meinen Nachwuchs als Spiegelei in die Pfanne hauen würde, ich würde auch auf dem gegenüberliegenden Dach hocken und finster gucken, also: wirklich finster. Das würde man dann schon merken, dass ich da so meine Vorbehalte habe.
Tauben mit ihren Taubenhirnen aber beschreiten bei der Familienplanung nur die ausgetretensten Pfade: „Schatz, ich bin schwanger!“ – „Wunderbar, dann lass uns mal über unsere eigenen vierhundertvierundvierzig Zweige nachdenken! Zufällig erinnere ich mich vage an ein ganz entzückendes Grundstück, vierter Stock, sicher und trocken …“. Was zur Folge hat, dass ich seit Tagen alle zehn Minuten klatschend auf den Balkon trete, um den gefiederten Bauherren ihre Beharrlichkeit auszutreiben. Ohne Erfolg. Deshalb musste wieder ein Rabe her. In einer nicht wenig lebensgefährlichen Kletterpartie habe ich ihn erneut an genau der Stelle angebracht, wo sich die Einflugschneise der Tauben befindet.
An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein, wenn nicht seit ein paar Stunden auf dem Balkon wieder gegurrt würde. Eben war ich draußen. Die Tauben bauen gerade ihr Nest. Auf dem Rücken des Raben. Mit Vergrätzen ist es also nicht mehr getan, ich werde andere Saiten aufziehen müssen. Echte Falken gibt es, wie man hört, schon ab 30.000 Euro.
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