Die Wahrheit: Lob der Fläche, Fluch dem Fell
Die große Wahrheit Sommer-Debatte. Folge 1: Die Haut. Pro und Contra zu dem labbrigen Ding, das uns alle umhüllt.
Warum das Ding um uns herum geliebt werden muss
Zunächst müssen wir über die Vorhaut reden, die lästige Vorhaut aus dem Weg schaffen, wahlweise mit Messer oder Schere, nach jüdischem Brauch oder aus hygienischen Erwägungen, ganz egal, denn die Vorhaut ist als Vorhut der Haupthaut in ihrer vorwitzigen Zipfelhaftigkeit vollkommen verzichtbar. Sind wir das störende Fitzelchen erst los, können wir mit ungestörter Inbrunst das Lob der Haut anstimmen.
Aber ist das überhaupt nötig? Liegt die Schönheit und Zweckhaftigkeit der Epidermis nicht ohnehin sonnenklar zutage? Sie ist die Augenweide unter den Organen und gehört, sozusagen als Ausgeweide, zur besseren Gesellschaft (siehe auch: Hautevolee) der Eingeweide. Trüge der Mensch ein anderes seiner zahlreichen Organ so offen zu Schau, etwa das Gekröse oder die Lunge, er würde von seinesgleichen mit Abscheu sich abwenden. Allein die Haut hingegen macht mit ihren Pheromonen, dass wir unseresgleichen beschnuppern, berühren, beschlabbern und bespringen wollen. Ganz gleich, ob sanft bewaldet von einem Hain hauchzarter Haare oder mit kultivierten Rasierklingenrodungen unterzogen – Haut zieht an.
Erfunden wurde das Spitzenorgan mit Pfiff bekanntlich vom niederländischen Apotheker Coen raad J. van Houten, der sich später als Kakaoproduzent einen Namen machte – und noch oft die Haut verfluchen sollte, die sich auf seinem erkaltenden Getränk bildete.
Maßgeschneiderter Schutz
Mühelos ist die Haut aber auch vorstellbar als extraterrestrische Lebensform, die sich in liebevoller Symbiose wie maßgeschneidert (daher: Haute Couture), mithin „hauteng“ an unsere schutzlos feucht glänzenden Leiber schmiegt, um sie vor den Zudringlichkeiten der Umwelt zu schützen. Gewiss, von Schuppenflechte bis zu malignen Melanomen muss die Haut einiges einstecken. Hautzirrhose, Hautinfarkt oder Hautembolie sind ihr aber völlig unbekannt.
Das zugleich Verhüllende wie neckisch Andeutende liegt in der Natur der Haut, wohin wir auch blicken. Nüchtern versiegelt sie deckelnd den weichen Pudding, fettbrutzelnd weckt sie Vorfreude auf das weiße Fleisch des Brathähnchens. Gewaltsame Enthäutungen, wie etwa der Heilige Bartholomäus sie erdulden musste, empfehlen sich nicht. Weil man nur sehr schlecht aus seiner Haut kann, rette man sie besser und trage sie aus moralischen Gründen auch tunlichst nicht zu Markte.
Kunterbunte Oberfläche
Früher ließ sich an ihrer Pigmentierung überdies ablesen, mit wem man es zu tun hatte. Die Welt gehörte den Weißen, als clevere Kerlchen bewährten sich die Gelben, während Schwarze kurzerhand zum Baumwollpflücken herangezogen wurden und nebenbei den Blues entwickelten. Zuletzt galt irrtümlich als kunterbunt beziehungsweise „Person of Color“, wer häufig „grün und blau“ geschlagen wurde. Inzwischen ist die zuweisende Funktion der Haut als biomorphe Benutzeroberfläche des Menschen aus der Mode gekommen.
Gut so, denn seit ihrem Rückzug aus der Politik lässt die Haut es ruhiger angehen. Sie konzentriert sich auf ihre Kernkompetenzen oder legt sich gleich ganz auf die faule ihresgleichen, wo sie mit Feuchtigkeitscremes oder Gurkenmasken verwöhnt wird. Manch eine besonders ehrliche Haut lässt sich von ihren gestörten Besitzern auch klaglos perforieren oder ritzen. Ganz Verwegene benutzen sie sogar als Leinwand für allerhand sinistre Symbolik und informative Illustrationen – alberne Spirenzchen, bei denen jedes andere Organ dankend abwinken, „Ohne mich!“ rufen und das Weite suchen würde. Nicht so die Haut. Sie lässt es mit sich machen, wir sollten es ihr danken. Die Haut ist der Hammer. Arno Frank
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Warum das Ding um uns herum verdammt werden muss
Die Haut nimmt für sich großspurig in Anspruch, „das größte Sinnesorgan des menschlichen Körpers“ zu sein (Ausnahme: Prince Charles). Zwei Quadratmeter sind normal, bei uns Älteren kann es nach dem Abziehen und Bügeln der Furchen auch mal schnell die doppelte Fläche sein.
Darauf ist sie offenbar mächtig stolz, obwohl es bekanntlich nicht auf die Größe ankommt, sondern auf die Qualitäten. Und da hinkt die Haut schon meilenweit hinter ihren redlichen Verwandten (Augen, Ohren, Nase) zurück. Dass dieser armselige Lappen aus Horn, Schorf und Tätowiertinte sich überhaupt mit dem Titel „Organ“ schmückt, der ehrlichen Arbeitern wie Magen, Blase oder Pimmel vorbehalten sein sollte, stellt an sich schon eine Anmaßung dar. Blinddarm, Ohrenschmalz, Dünnpfiff, Tumor, Überbein: das wäre exakt die Kategorie „Hilfsorgane, Gekröse und Ausscheidungen“, in die die Haut gehört.
Das sprichwörtliche „Auf-der-faulen-Haut-Liegen“ bezeichnet nicht umsonst die Lieblingstätigkeit barocker Schmarotzer neben Ausbeutung, Umweltzerstörung und jeglicher Form von Maßlosigkeit. Die Haut liegt im Grunde selber auf der faulen Haut. Ihren natürlichen Aufgaben kommt sie nur widerwillig oder überhaupt nicht nach. Die Regulierung der Körpertemperatur, von der jeder Vogel, jedes Felltier ein fröhliches Lied singen kann, ist beim Menschen bloß ein schlechter Witz.
Englische Grilltomate
Ohne Funktionskleidung geht gar nichts. In der Sonne platzt der Mensch auf wie eine englische Grilltomate; ist es kalt, erfriert er oder heult die Hausverwaltung an. Die Haut sieht schulterzuckend zu, sie kratzt das Unglück gar nicht, als wäre sie nicht zuständig. Ohne Hilfsmittel ist jeder Mensch de facto eine Totgeburt. Schuld ist natürlich die Haut.
Des Weiteren brüstet sich die Haut mit ihren unzähligen Schmerzrezeptoren. Das ist, als werbe das Tourismusministerium eines Landes offensiv mit dessen hoher Mordrate. Denn Schmerzen braucht kein Schwein. Ist die Herdplatte eingeschaltet, leuchtet schließlich ein Licht. Nur ein Vollidiot legt seine Hand drauf, um via Schmerz zu prüfen, ob sie an ist.
Haken wir ruhig weiter die Not-to-do-Liste des pflichtvergessenen Fetzens ab. Angeblich soll die Haut den Körper vor Erregern und Fremdsubstanzen schützen. Auch hier versagt sie völlig – warum wird man denn sonst ständig krank? Weil die tolle Frau Haut ihren Job so gut versieht, ja wohl kaum.
Warmer Kümmerling
Allenfalls ihre Funktion als Kontakt- und Tastorgan kriegt die Haut notdürftig hin. Gratulation, Ordensverleihung, Dank auf Knien! Das Aneinander-Schubbern mag sich tatsächlich ganz okay anfühlen. Doch an die wohlige Wonne eines warmen Kümmerlings im Magen kann das bei weitem nicht anstinken.
Auf ihr Talent zur Aufnahme von Sinnesreizen ist die Haut dennoch stolz wie Bolle. Allerdings gleicht, was sie für Sensibilität hält, der Sentimentalität eines irren Massenmörders, der unter narzisstischem Schluchzen sein Opfer ausweidet und dazu klassische Musik hört. Echtes Gefühl ist eigentlich genau das Gegenteil.
Machen wir uns nichts vor: Die Haut ist eine durch und durch unnütze und hassenswerte Kanaille. Sie schwitzt wie eine Sau. Verunziert mit ekelhaften Pickeln, macht sie uns in einem fort bloß lächerlich. Sie sollte unser Aushängeschild sein und erinnert doch an einen hinterrücks ans Hemd gehefteten Bubenstreich des Wortlauts: „Ich bin so hässlich.“ Mit höchster krimineller Energie hintertreibt sie unser Wohlbefinden und unseren gesellschaftlichen Status, als gehörte sie nicht zu uns, ein Feind um unseren Körper. Uli Hannemann
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