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Die WahrheitScooterman auf der Nase

Kolumne
von Knud Kohr

Wenn die Blase rebelliert, gilt es, das 143 Zentimeter lange und knapp drei Zentner schwere Gefährt auf Höchstgeschwindigkeit zu bringen.

V or einiger Zeit wurde der Scooterman mitten auf der Wilmersdorfer Straße in Berlin-Charlottenburg von zwei überschaubar gelaunten Polizisten angehalten: Die Nummernschilder des Scooters waren abgelaufen, und zwar bereits seit zweieinhalb Jahren. Also fuhr der Autor dieser Zeilen illegal herum. Und tat es sogar weiterhin. Irgendwie musste er ja jeden Montag, Mittwoch und Freitag zur Physiotherapie in die Schlossparkklinik kommen. Vierhundert Meter hin, vierhundert Meter zurück.

Der diskrete Charme des Illegalen fuhr immer mit. Am liebsten hätte der Scooterman seine goldenen Locken im Wind flattern lassen. Was allerdings ein unmögliches Unterfangen ist bei jemandem, dessen Haare erstens rot waren und zweitens seit den frühen neunziger Jahren nass abrasiert werden.

Vor Kurzem schien sich dann alles zum Guten zu wenden. Im Briefkasten fand sich die Nachricht eines Versicherungsunternehmens, dass ab sofort ein Schutzbrief über den Scooter wachen würde. Es war ein solides Unternehmen, das der Scooterman vom Ansehen kannte. Direkt hinter dem Schaufenster stehen zwei Schreibtische mit jeweils zwei Computern, an denen bis zu vier Leute schuften. Was sollte da noch schiefgehen? Es wurde also Zeit, die gelungene Resozialisierung gleich nach der Physiotherapie mit einem Extra-Espresso zu feiern. Das allerdings war ein Fehler.

Was machen Sie, wenn Ihre Blase mitten in einem öffentlichen Park zu rebellieren beginnt? Richtig: Sie suchen einen Seitenweg, der erstens schlecht einsehbar und zweitens von reichlich viel Büschen oder Bäumen flankiert ist. Nach maximal einer Minute ist das drängende Problem gelöst.

Wenn man allerdings wie der Scooterman auf ein 143 Zentimeter langes und knapp drei Zentner schweres Gefährt angewiesen ist, und wenn man dann noch feststellen muss, dass man die Urinflasche für Notfälle zu Hause vergessen hat, dann heißt es: Strom geben!

Im Erdgeschoss meines Wohnhauses befindet sich der „Rollstuhlwechselraum“. In dem man mit wilder Entschlossenheit auf seinen Handrollstuhl umsteigen kann. Zwei Türeinfassungen später steht man vor dem Fahrstuhl. Dort keimt Hoffnung auf. Nur noch ein wenig rangieren, nur noch durch eine weitere Tür, dann ist die heimische Toilette erreicht. Vielleicht wird die Hose trocken bleiben?

Nun, die Hose blieb trocken. Aber das Unheil kam trotzdem. Als der Scooterman schon nicht mehr damit rechnete. Er wuchtete sich zurück auf den Handrollstuhl, und in dem Moment rutschte er am Griff ab. Endlose Sekunden später lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten Badezimmerboden.

Es dauerte eine Viertelstunde, bis der Scooterman zum Bett gerobbt war. Dort liegt sein Notfallknopf. „Haben Sie sich verletzt?“, fragte eine sonore Stimme aus dem Lautsprecher in meinem Arbeitszimmer. „Bleiben Sie ruhig liegen. Hilfe kommt gleich.“ – „Gleich“ hieß, dass ich anderthalb Stunden lang auf dem Bauch lag. Aber immerhin, dann kam Hilfe.

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1 Kommentar

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  • Mein Mitgefühl. Anderthalb Stunden können verdammt lang sein, wenn man auf dem Bauch am Boden liegt und nicht hoch kommt. Vor allem dann, wenn einem bereits Hilfe in Aussicht gestellt wurde.