Die Wahrheit: Blauer Bohnensalat

Die aktuelle Gemüsekrise und ihre heftigen Folgen: Ein Blick in deutsche Verbraucherküchen, wo das Schnibbeln derzeit zum Erliegen gekommen ist.

Mehrere Menschen halten Gemüse in der Hand

Statt das teure Gemüse zu essen, macht das österreichische Vegetable Orchestra damit lieber Musik Foto: reuters

Vor ungefähr einem Monat brach die Gemüsekrise aus. Ein Pfund Tomaten kostete plötzlich mehr als ein Pfund bestes Steakfleisch; der Preis für Gurken vervierfachte sich, ohne dass deshalb mehr Wasser dringewesen wäre.

Verantwortlich für den Preiswahnsinn in den Gemüsekisten waren klimatische Unbilden in Südeuropa. Extreme Kälte, Regen und Schnee hatten in den Wintermonaten in Spanien, Italien und Griechenland gewütet wie eine Sense. Der unheimliche Schockfrost kroch selbst unter die quadratkilometergroßen Plastikplanen der agrarindustriellen Anbaugebiete. Da ihr Kunststoff von minderer Qualität war, konnte man die erfrorene Ernte nicht mal als Tiefkühlkost verkaufen – sie wurde Opfer des Gefrierbrands und taucht demnächst in Form von Gemüsesaft bei den Discountern in Nordeuropa auf.

Auf den Märkten schlug nun das Gesetz von Angebot und Nachfrage zu. Die Preise kletterten ins Unermessliche, die Verbraucher reagierten zunächst mit panischen Vorratskäufen, später erst mit Kaufzurückhaltung und dann mit grippalen Infekten.

Preise im Unermesslichen

In der Zwischenzeit geschahen seltsame Dinge. In einer großen englischen Supermarktkette wurde der Verkauf von Eisbergsalat auf drei Köpfe pro Kunden beschränkt. Man fragte sich unwillkürlich: Was will jemand mit mehr als drei Eisbergsalatköpfen? Drei sind schon zwei zu viel!

Während Paprika, Auberginen und Zucchini den Goldpreis hinter sich ließen, wurde in Deutschlands Kinderzimmern gejubelt. Die meisten Männer hatten allerdings noch gar nichts davon mitgekriegt. Sie kaufen ja kein Gemüse.

Die lange verfemten Erbsen und Möhren aus der Dose feierten ihr Comeback. Die Gemüsekrise verschärfte sich, als wäre jemand mit dem Sparschäler drangegangen. Als der Brokkoli aus dem Gemüsestiegen verschwand, juckte es viele nicht mehr die Bohne. Im Gegenteil: Echte Fleischfans hatten jetzt eine noch bessere Ausrede, auf das ungeliebte Grünzeug zu verzichten.

In deutschen Küchen wurde es still. Schnibbeln, raspeln, stifteln und pürieren – all diese geräuschintensiven Tätigkeiten kamen zum Erliegen. Auch die Anhänger der Hochküche spürten die Krise, sprachen von aromatischen Fehltönen bei Artischocken und Wasserkastanien, die nicht trocken zu kriegen sind.

Vegetarier im Schuldturm

Das Feldfrucht-Fiasko näherte sich seinem Höhepunkt. An den Stammtischen erzählte man keine Schoten mehr: entschieden zu teuer! Viele Vegetarier landeten im Schuldturm oder kehrten reumütig zum Schnitzel zurück. Immer mehr Verbraucher bekamen den Eindruck, sie würden tüchtig in die Gemüsepfanne gehauen.

Als die Politik zum Verzehr heimischer Sorten aufforderte und es in den Treppenhäusern wieder nach Kohlsuppe roch, formierte sich erster Protest. Während mancherorts vom Einsatz von blauen Bohnen geträumt wurde, kam es anderswo bereits zu Gemüseaufläufen.

Ehe aber ein dunkler Steckrübensommer beginnen konnte, hatten sich die düsteren Unwetter längst verzogen und war genügend Billiggemüse nachgewachsen. Was also von der Krise bleibt: hier und da ein paar Fälle von Skorbut, sonst nichts.

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kari

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