Die Wahrheit: Herr und Frau Antje
Warum Vorurteile pflegen, wenn es auch sachlich geht. Ein dringend notwendiger Überblick über Holland vor der Wahl in den Niederlanden.
Mit der Wahl am kommenden Mittwoch rückt die kleine Käsehochburg Holland in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Deshalb fasst die Wahrheit die gängigsten Vorurteile über Holland und seine Insassen zusammen und überprüft sie.
Holländer sind gar keine, sondern Niederländer!
Formal stimmt das – zum Teil. Holländer sind ursprünglich nur die BewohnerInnen der Provinzen Nord- und Süd-Holland. Aber je öfter man in den neun anderen Provinzen hört „Ja, wir Holländer…“, umso sicherer kann man sein: Die Niederländer kennen sich selbst nicht. Im Fußballstadion heißt es statt „Hup Nederland Hup“ auch „Hup Holland Hup“.
Holländer waren zur Nazizeit alle im Widerstand!
Stimmt nur teilweise. Etliche haben sich aktiv gegen die Besatzer gewehrt, der Rest hat emsig kooperiert. Doch so richtig antideutsch wurde Holland erst nach 1945, als es schick war und gefahrlos („Ick ben woedend“), auf uns blöde Moffen einzudreschen. Und den Vergleich mit Belgien verliert Holland deutlich: Dort wurden anteilig so viele Juden gerettet wie sonst nirgends in Europa.
Holländisches Essen ist furchtbar ekelhaft!
Kroketjes und die Abfallpüreewurst Frikandel sind in der untersten Schublade der Bodensatz. Das Nationalgericht Fabrikbilligfritten ist ein Verbrechen an der menschlichen Basiskulinarik. Wie es besser geht – frag nach in Belgien mit ihren liebevoll aus der Hand geschnittenen Kartoffelstäben, die in würzigem Rinderfett beseelt schmurgeln („Fritten singen“). Auch das holländische Brot muss abgemeijert werden: Es ist nämlich nur weiße Gummimasse. Der berühmte Uitsmijter, jene Kombination aus gerösteter Gummimasse, Pressschinken und Fabrikspiegeleiern, gilt als Hochgenuss. Aber es gibt auch 107 Sterne-Restaurants: mit Gourmet-Uitsmijter an De-luxe-Frikandelletjes für deutsche Gäste. Lekker! Nachtisch: Vla flambée mit Hagelslagmousse.
Holländisches Bier ist ein Witz!
Wer an einem köstlich Frischgezapften den Schaum mit einem Plastikschaber wegwischt, damit es schneller geht, ist ein Kulturschänder. Grolsch und Heineken sind die Trumps unter den Weltbieren. Verachtet wird gern auch die niederländische Weinkultur: Doch erstens gibt es die rund um Maastricht tatsächlich. Und zweitens kann sogar der holländische Champagner grandios schmecken, auch wenn er nicht so heißen darf, sondern sich mousserende wijn nennt. Eine kleine Empfehlung: Wijngoed Fromberg bei Heerlen.
Holländer und Deutsche hassen sich bis heute!
Das ist absoluter Unsinn oder Onzin. Wir lachen über die gleichen völkerverbindenden Witze: „Wie öffnet der Deutsche eine Auster? Er schlägt laut mit der Faust auf den Tisch und brüllt: ‚Auf-ma-chen!‘“ Jeder bewundert den anderen für seine Spezifika. Die Duitsen sind so heerlijk effektiv, die Holländer sind so locker, lässig, statusfrei. Wie gern hätte man mehr vom anderen ab.
Holländer können keinen Fußball!
Stimmt, sie sind derzeit das unbedeutendste Land unter den vermeintlich Großen des Spiels. Die Elftal verpasste erst die Weltmeisterschaft 2002 („Ohne Holland fahrn wir zur WM“), dann die Europameisterschaft 2016. Und auch für die WM 2018 sieht es mies aus. Dem Vorurteil entgegen steht das Feierbiest Louis van Gaal als bester Trainer aller Universen (Eigeneinschätzung) und Johan Cruijff, der erst als Spieler die Menschheit verzückte und später die Hochkultur FC Barcelona schuf. Die Ehrendivision als Ausbildungszentrum und Showroom von Talenten für Topclubs bleibt. Relativieren wir das Vorurteil: Holländer können keinen erfolgreichen Fußball. Sie waren in drei WM-Endspielen und verloren drei.
Holländisch gefährdet die Gesundheit!
Nur scheinbar, weil sich viele verletzen beim fahrlässigen Imitieren der krächzenden Rachenlaute (Übungswort: Scheveningen). Anfänger sollten mit der flämischen Variante starten, das klingt viel weicher. Vokale und Umlaute kann man üben: oe klingt wie das deutsche u, u wie ü, ui wie eu. Formal verstört die Sprache allerdings: Statt des falschen deutschen Apostroph’s („Marsha’s Friseurladen“) kennt man das richtige Plural-Apostroph („foto’s“). Holländer lieben Sprachspiele: Wenn ein verklemmt muffiger Moffendeutscher sagt „Ich krieg ne Cola“, antwortet ihm der holländische Kellner: „Erstens heißt das ‚bitte‘, und zweitens gibt’s die nicht. Krieg ist vorbei.“ Für bilinguale Sprachspiele sind die Vokabeln eine Steilvorlage: Ruhig heißt rustig, das deutsche rüstig wird übersetzt zu kranich und der Kranich ist der kraanvogel. Apropos Tiere: Ist Lieveheersbeestje für Marienkäfer nicht reine Poesie? Liebesherrenbiestchen! Richtiger übersetzt heißt es: Herrgottsbiestchen.
Holland-Tomaten sind schnittfestes Kugelwasser!
Falsch. Das sind mittlerweile die belgischen und deutschen Tomaten, die in monströsen Gewächshäusern rechnergesteuert und tageslichtfrei zur Kunstreife gepowert werden. Die Holländer züchten längst die Samen zu künstlichen Geschmacksstofflieferanten um. Genial. Smakelijk!
Holländer leben auf Booten und in Wohnwagen!
Stimmt. Bis auf diejenigen, die ein Haus abgekriegt haben – mit winzigen gardinenlosen Zimmern, steilen und engen Treppen. Es gibt auch holländische Autos ohne Wohnwagen dahinter. Wohnwagen ohne Zugmaschine stehen als selbstfahrende Google-Camper vor der Testphase. Nicht alle Holländer fahren ins Sauerland – ihr Lieblingsziel ist Frankrijk; in Deutschland wollen sie auf der Durchreise nur das Vorurteil ihres volkseigenen Geizes bestätigen: wenn Herr und Frau Antje auf den Autobahn-Parkplätzen ihre mitgebrachten Gummi-Sandwiches herunterwürgen, statt die Gaumenschmeicheleien deutscher Raststättenbetriebe zu goutieren.
Holländer sind den lieben langen Tag dauerbekifft!
Unfug: Viele Coffeeshops haben geschlossen. Oder verkaufen nur noch an Einheimische mit Ausweis. „Äääh … da drüben auf dem Tresen der regenbogenfarbene Adler mit den acht Flugeltjes und dem Nutella-Glasje in den Kralletjes – ist der nicht wundermooi, Marijke?“
Holländer sind aus Prinzip und Arroganz die Größten!
Ja, ist wissenschaftlich bewiesen. Der NL-Mann lässt mit 182,5 Zentimetern im Durchschnitt alle anderen der Welt hinter bzw. unter sich. Nur, warum der Niederländer? Der politischen Weitsicht dient es nicht (Wilders). Vielleicht um besser über Deiche und Dünen gucken zu können, die mächtigsten Gipfel des Landes? Nein, Vorurteil: Der höchste Punkt des sonst so pannekoekenflachen Landes misst sogar stolze 322,7 Meter (Vaalser Berg bei Aachen), die fast alpine Gegend drum herum (mehrere Serpentinen!) nennt sich „Holländische Schweiz“. 322,7 stimmen aber nur aus eurozentristischer Sicht: 2010 wurde die winzige karibische Insel Saba als „Besondere Gemeinde“ in das Königreich der Niederlande eingegliedert. Damit ist der Vulkan Mount Scenery de hoogste punt van Nederland: 877 Meter.
Holländer fluchen verdammt gern!
Godverdomme, das stimmt allerdings, du Kloothommel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Spaniens Staatschef im Nahkampf
Ein König mit Cojones
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala