Die Wahrheit: Ich Wanderrind
Während Dirk Nowitzki beim Basketball in den USA einen Rekord für die Ewigkeit aufstellt, breche ich auf Mallorca einen persönlichen Urlaubsrekord.
A nfang März. Dirk Nowitzki wirft sich in die Ewigkeit, er schafft als sechster Basketballspieler in der Geschichte der NBA eine Gesamtkorbzahl von über 30.000. Ich knackte die gleiche Marke am selben Tag. Auf Mallorca. In Port de Soller. Ein kleines Wanderparadies, zumindest in der Vorsaison. Meine Freundin wollte in die Berge.
Wo ich mühsam die steinigsten Pfade hochkraxle, ist eine Gruppe deutscher Crossläufer leichtfüßig joggend unterwegs. Das verstört. Zu meinem Trost habe ich das Gefühl, die Gruppe wird täglich kleiner. Es läuft eine erstaunliche Gockelparade. Man fragt sich, ob alle so schnell sind, wie ihre Kleidung aussieht. Für den Preis ihrer Laufausrüstung kaufe ich Gebrauchtwagen. Den technischen Standard ihrer „Funktionskleidung“ erreicht nicht mal mein relativ neues Handy.
Meine Freundin ist körperlich gesehen der Typ Bergziege, ich repräsentiere eher den Typus Galloway Rind. Ich bin kein Gebirgstyp. Beziehung heißt Kompromiss, darum muss ich ab und an mit in die Höhe.
Alle haben inzwischen Gesundheits-Apps auf ihren Handys, viele tragen diese Fitness-Armbänder, die sämtliche ihrer Daten auf das iPad übertragen. Mein Freund Achim ist technisch leicht zu faszinieren. Neulich zeigte er mir das alles. Und zeigte mir vor allem, dass auch auf meinem Handy so eine App mit Namen „Health“ vorinstalliert sei, mit der meine Schritte gezählt und zurückgelegte Entfernungen gemessen würden. Nur hatte ich das meinem Gerät nie erlaubt!
Außerdem gibt es Funktionen und Ordner, auf denen mehr steht als je auf der Karteikarte, die mein Hausarzt über mich Jahrzehnte gewissenhaft führte! Körpermesswerte, Vitalzeichen, Ruhekalorien. Unbekannte Welten. Mein ganz spezielles Raumschiff Orion.
Doch die zwei Diagramme für täglich zurückgelegte Schritte und Kilometer, von denen ich nie gewusst hatte, faszinierten mich. Tage mit 1.024 Schritten, was bedeutet: Man war maximal bis zur Dusche und zum Kühlschrank gekommen. Nun Mallorca. Berge. Wanderungen. 16.233 Schritte. 19.112 Schritte. Plötzlich schaute ich mehrmals täglich nach, obwohl ich es langsam albern fand, dauernd auf mein Handy zu sehen. Und dann kam der Tag mit 24.766 Schritten.
An dem Tag, an dem auch Dirk Nowitzki sein Meisterstück gelang, waren wir auf einer langen, und wie sich zeigte, längsten Wanderung unterwegs. 25.437 Schritte. Danach wollte meine Freundin noch mal durch den Hafen. Also gingen wir dort in eine Kneipe. 27.699 Schritte. Ich bekam die erste Anerkennung für meine Leistung: Eine junge Spanierin stellte uns zwei „San Miguel“ auf die Theke und sagte zu mir mit rauchiger Stimme: „Adios, hombre.“
Im Hotelzimmer angekommen: 29.984 Schritte. Meine Freundin lag schon im Bett. Ich ging zwischen Zimmertür und Balkon hin und her wie ein Raubtier im Käfig und bemerkte nicht einmal, wie ich die Ziellinie überrannte: 30.087 Schritte! Dirk Nowitzki und ich – dos hombres!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert