Die Wahrheit: Weihnachten ohne Indianer

Neues aus Neuseeland: In Aotearoa werden zur Adventszeit bunte Umzüge abgehalten. Die Kostüme der Feiernden sind umstritten.

Advent geht bei uns anders. Kein Nikolaus, keine Plätzchen oder Oratorien – dafür pausenlos Sekt und Partylaune. Es ist Hochsommer. Man verkleidet sich mit Rentiergeweih und Tannenbaum-Ohrschmuck, dazu „Jingle Bells“ in der Endlosschleife. „Kiwi Christmas“ wird nicht mit Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt eingeläutet, sondern mit einer Art Karnevalsumzug: Anfang Dezember findet die jährliche „Santa Parade“ statt. In Christchurch wurde sie diesmal zum Showdown.

Seit 22 Jahren fährt dort in der Flottille aus Pappmaché-Kitsch stets ein Wagen voller Cowboys und Indianer mit. Fast so schön wie beim Rosenmontagszug; aber anders als in Köln und Mainz gibt es im bikulturellen Aotearoa deutlich mehr Befindlichkeiten, was die spaßige Ausschlachtung indigener Völker angeht. Wegen Federschmuck und Gesichtsbemalung geriet die Santa-Parade schon im Vorfeld unter Beschuss: Das sei „red facing“ und ebenso schlimm wie „black facing“.

Kulturelle Aneignung ist ein heißes Eisen im Land der Maori und Polynesier. Vor zwei Jahren büßte Neuseelands Modedesignerin Trelise Cooper fast ihren Skalp ein, als sie in einer Modenschau einen Indianerkopfschmuck als Accessoire verwendete. Richard Two Bears, ein Ureinwohner Amerikas, der vor 30 Jahren ins Land der langen weißen Wolke umzog, fand die Dekoration beleidigend. Im September musste Disney ein Kostüm aus dem Verkauf ziehen, das eine polynesische Tätowierung aus dem Zeichentrickfilm „Moana“ darstellt.

„Wenn sich weiße Amerikaner als Maori verkleideten, mit brauner Schminke im Gesicht und im traditionellem Kostüm, und irgendwo in den USA den Haka aufführten – das wäre absolut unangemessen, oder?“ So argumentiert Michelle Flores aus Christchurch gegen die Wigwam-Show auf Rädern. Die Veranstalter hielten dagegen, dass es sich bei der Kostümierung um den Ojibwe-Stamm in Buffalo drehe, dessen Segen man schon vor Jahren eingeholt habe. Es gab sogar einen Federschmuck als Geschenk.

Flores’ Anhänger bombardierten daraufhin die Paraden-Veranstalter mit E-Mails: Im Zeichen der Solidarität mit den Demonstranten von Standing Rock sei diese Zurschaustellung besonders schmerzhaft. Es ging auch um die Detailfrage, ob Stirnbänder politisch korrekt seien. Die habe man nur in Western benutzt, damit den Stuntmännern nicht die Langhaarperücken verrutschen. Warum nicht gleich die Kuhhirten der Prärie mit britischen Kolonialisten ersetzen und die amerikanischen Ureinwohner mit Maori?

„Der Wagen fährt raus!“, hieß die Gegenkampfansage. „Wer das nicht mag, soll nicht hingehen.“ Zwanzig Kinder seien untröstlich, wenn ihr Vehikel dieses Jahr nicht im Umzug dabei sein könne. Der Wagen fuhr zwar raus, aber anders als gedacht: Vorne ein Tipi, dahinter Cowboys, aber kein einziger Indianer. Ein Verteidiger der Rothautfraktion hatte nämlich angedroht, den Wagen in Brand zu setzen. Das nahm man schließlich ernst. Mit Pfeil und Bogen ist nicht zu spaßen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.