Die Wahrheit: Die Weichbürger
Immer mehr radikale Außenseiter treiben ihr Unwesen. Jetzt ist wieder eine krude Bewegung am Rande der Gesellschaft entstanden.
Das Maß ist voll! Seit Bundesinnenminister de Maizière am vergangenen Freitag eine Unterredung mit Vertretern der sogenannten Weichbürgerbewegung mit einem versonnenen Lächeln verließ und sich sein vertrautes militärisches Schnarren im anschließenden Pressegespräch vollständig in ein sanftes Schnurren verwandelte, ist klar: Diese Leute gefährden die innere Sicherheit.
Ihre Verweigerung gegenüber Egoismus, Gewinnstreben und Ellenbogeneinsatz ist gesellschaftsschädigend und, so CSU-Generalsekretär Scheuer, „eine besonders perfide Form von Gewalt“.
Bisher wurden sie überwiegend belächelt, die Menschen, die darauf beharren, Deutschland bestehe in den Grenzen von 1237 fort, weil sie das weiche Licht der Lombardei nicht missen mögen. Sie trafen sich überwiegend auf Kirchentagen und in Waldorfschulen, wo sie allerdings die Gründerfigur wegen ihres Namens infrage stellten („Das weiche Wasser bricht den Steiner“).
Sie gingen Sportarten wie Softball-Squash und Schlammcatchen ohne Körperkontakt nach und pflegten harmlose Hobbys wie das tagelange Probeliegen bei Matratzen Concord. Wegen ihrer Ablehnung von Erektionen schien die Bewegung sich auf biologische Weise von selbst zu erledigen, zumal die wenigen Weichbürger-Familien ausnahmslos in Kellerwohnungen hausten und die Sommerferien stets in unterirdischen Höhlen verbrachten, wo sie dem Vernehmen nach „Rachitis-Partys“ feierten.
„Dir jetzt keine reinzuhauen, tut mir genauso weh wie dir.“
Wegen ihres Glaubenssatzes „Knochenerweichung ist gut!“ wurden die Jugendämter bereits vor Jahren ein erstes Mal aufmerksam auf die skurrile Bewegung. In derselben Zeit wurden die Kommunen erst mal auch mit der Rechtsauffassung der Weichbürger konfrontiert, wonach der Anspruch auf einen Kitaplatz auch noch nach dem 20. Geburtstag des Kindes eingelöst werden könne. Ein häufiger Erziehungssatz der sanften Menschen lautet: „Dir jetzt keine reinzuhauen, tut mir genauso weh wie dir.“
Da Deutschland ihnen aber auch Errungenschaften wie die Knautschzone, den Airbag und das Auslegen von Spielplätzen mit Weichgummimatten verdankte, ließ man die vermeintlich ungefährlichen Spinner gewähren. Als ihren größten Erfolg betrachten die Weichbürger, dass die Gesundheitsämter bis heute nichts gegen die krebserregenden Phtalate (Weichmacher) unternommen haben.
Am 25.11.2016 feiern wir im Heimathafen Neukölln in Berlin – Seien Sie dabei.
Und ihre Aktionen bringen die Verwaltungen in Deutschland mehr und mehr durcheinander. So zahlen die Weichbürger im Schnitt 125 Prozent ihrer Steuerschuld und bringen dazu noch ein Softeis vorbei. Zudem haben sie eine besonders raffinierte Methode entdeckt, die Erbschaftssteuer zu vermeiden: Sie vermachen ihr gesamtes Hab und Gut dem Staat. Die Finanzbehörden sind hilflos gegen diese spezielle Variante der „Soft Skills“.
Die Weichbürger sind massiv in den sozialen Netzwerken aktiv – Software ist schließlich ihre große Stärke. Bedauerlicherweise werden ihre Kuschel-Postings und ihre enthemmten Liebesbotschaften von Facebook geduldet. Und auch ihrer Abneigung gegen Knäckebrot und Kekse können sie dort ungehindert Ausdruck verleihen.
Milchbrötchen werden verboten
Allmählich reagieren die Verwaltungen jedoch. So haben zahlreiche Behörden ihren erwachsenen Besuchern das Mitbringen von Kuscheltieren inzwischen komplett verboten. Das Märchen von der „Prinzessin auf der Erbse“ wird aus öffentlichen Bibliotheken entfernt und vom Lehrplan gestrichen. Und viele Schulen bieten keine Milchbrötchen mehr an.
Mittlerweile haben die elbenartigen Wesen sich allerdings zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft gemausert: Bei der Bundestagswahl 2017 können „Lenor – die Weichen“ dank ihrer Listenverbindung mit den „Achtsamen“ auf mindestens fünfzig (natürlich gepolsterte) Sitze im Bundestag spekulieren.
Allerdings hat die Bewegung auch einen militanten Flügel. Bei ihren Demonstrationen decken diese gefährlichen Weichbürger Polizisten regelmäßig mit einem Marshmallow-Hagel ein und umarmen sie dann heftig. Auf den bisher einzigen Wasserwerfereinsatz 2015 in München reagierten sie, indem sie den Hit „Killing me softly“ summten und der Stadt später die Übernahme der Wasserrechnung anboten. Ein hochrangiger Sicherheitsexperte bekennt: „Das macht mir alles große Angst.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader