Die Wahrheit: Nachtrepublik Waschsalon
Fast wie im wirklichen Leben geht es zu im Waschsalon, wo man nicht nur den Maschinen beim Schleudern durch das Dasein zusehen kann.
M eine Tochter hatte sich verliebt und vollkommen altersgerecht das Nest in Richtung eigener Wohnung verlassen. Also saß ich plötzlich mit Mimi allein da. Mimi ist, davon war hier schon die Rede, eine Katze und eindeutig transidentisch. Auf alle Fälle wohnt in ihrem weiblichen Äußeren ein mürrischer alter Kater, der zu nichts zu bewegen ist, was liebevoll betreute Wohnungskätzchen normalerweise tun. Spielen, schmusen, schnurrend die Hausherrin begrüßen? Nicht mit Mimi. Ihr Selbstverständnis gleicht dem einer Teppichbrücke. Sie liegt irgendwie da, und manchmal stolpert man drüber.
Verständlicherweise weilte ich, nachdem alle meine Lieben woanders wohnten, auch nicht mehr oft in der verwaisten Bude. Die Erinnerungen, aber auch Mimis schlechte Laune und die halbleeren Räume, die nun einen gewissen Hall aufwiesen – das alles war nichts, was mich abends unbedingt nach Hause zog. Zunächst schien das kein Problem zu sein. Aber auch die autistischste Katze zeigt irgendwann Nerven, und so entwickelte Mimi eine Kultur des Protestpinkelns, die nicht mehr feierlich war. Vorläufiger Höhepunkt: ein großer gelber Fleck auf der weißen Tagesdecke des Bettes.
Die schiere Größe der Decke überforderte meine Waschmaschine bei Weitem, deshalb suchte ich nach jahrzehntelanger Pause mal wieder einen Waschsalon auf. Zaghaft betrat ich das von Gentrifizierung und Kaffeeautomaten noch nicht befallene Objekt, in dem sich mehrere Anwesende um die letzten intakten Maschinen stritten. Alle, Menschen wie Maschinen, hatten bessere Zeiten gesehen und rochen ein bisschen nach Pipi. Aber ich will mich nicht beklagen, denn auch mich umgab, nachdem ich die Decke ausgepackt hatte, gleichfalls kein Rosenduft.
Obwohl durchschnittlich intelligent, scheiterte ich am Kassenautomaten und musste mir von einem der Waschkumpane helfen lassen. Dass kein Becher unter der Pulverausgabe stand und die ausgespuckte Ladung halb im Automaten und halb auf dem Fußboden landete, sorgte bei allen außer bei mir für Heiterkeit.
„Den Becher hab ick! Sorry!“, krähte ein sichtlich angeschickerter Mittfünfziger in Bauarbeiterklamotten und winkte mit dem fehlenden Teil vom anderen Ende des Salons herüber. Nicht mehr ganz sicher auf seinen Beinen navigierte er sich und den Becher durch die Kleidertüten dreier inzwischen eingetroffener Töchter versunkener Sowjetrepubliken, die gerade versuchten, die Junggesellen aus der Warteschlange vor den Trocknern zu kegeln.
Ich kann aus früheren Zeiten noch ein bisschen Russisch verstehen und deshalb das Offensichtliche auch hören: Die Damen waren recht gereizt. In Erwartung größerer sozialer Unruhen zog ich mich auf das Fensterbrett zurück. Mein Bauarbeiterfreund ließ sich neben mich fallen: „Na? Ooch jeschieden?“, fragte er teilnahmsvoll. „Noch nicht …“, antwortete ich vorsichtig. Freundlich drückte er mir den Becher in die Hand: „Macht nüscht. Wird noch!“
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