Die Wahrheit: Plastinierte Seelen
Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich: Die automatisierten Reden des Herrn Jogi Löw und seiner blutleeren Knechte.
Es ist ein Elend, das man kaum noch wahrnimmt – oder nicht mehr wahrnehmen will. Wenn der Bundestrainer zu sprechen anhebt, geht die Grammatik in die Knie und die Semantik zerstäubt.
„Löw ist zweifellos ein besonders inferiorer Kopf“, urteilt Eckhard Henscheid, ein Kopf sei er, der „jeden Tag, ja manchmal pro Satz zweimal ‚Wahnsinn‘ sagt – ein Sprachschatz wie ein zurückgebliebenes Kind“. Und dieses Kind baut dann zum Beispiel einen solchen Satz zusammen: „Wir können nur an unserer eigenen Seriosität scheitern.“
Es ist aber nicht bloß das „unheimlich“ (Löw) infantile, automatisierte Geplapper. Joachim Löws Nullgerede à la Merkel, dieses technokratische, zerschossene Gewirr strotzt auch – neben all den Debilvokabeln – vor, wie sie der Linguist Uwe Pörksen nennt, „amorphen Plastikwörtern“ und „Amöbenwörtern“. „Besser strukturiert sein“, „sehr gute defensive Struktur“, „super organisiert“ – so geht es in einer Tour. Es ist die Sprache einer Geisterwelt, uniform, entleert, entwirklicht.
Knaben aus der Retorte
Nicht nimmt es da wunder, dass die von Peter Sloterdijk zu „windigen Bürschchen“ geadelten Spieler größtenteils affinen Sums absondern. „Der Bundestrainer sagt, was er von mir sehen möchte“, rapportiert Julian Draxler, aus Benedikt Höwedes blubbt es heraus: „Letzten Endes geht es gar nicht um mich, letzten Endes geht es ums große Ganze.“ Das sind Parteiverlautbarungen, dienstbeflissen vorgetragen von bis zur Selbstaufgabe anpassungsbereiten, regredierten, unterwürfigen, moralisch einwandfreien Knaben aus der Retorte. Wo sind die Breitners, die Briegels, die Augenthalers, die Ballacks geblieben?
„Elf Engel für Jogi“ war kürzlich ein Essay im Magazin der Süddeutschen Zeitung überschrieben. „Die Nationalspieler sind glattdiszipliniert wie nie“, hieß es weiter, und das verweise auf die „kaum noch aushaltbare Lücke, die zwischen der Verkommenheit des internationalen Fußballgeschäfts und dem moralischen Anspruch an seine Protagonisten klafft“.
Die deutsche Auswahl ist keine Fußballmannschaft aus lebendigen Individuen, sie ist ein unerhört wichtigtuerisches und ungemein fades PR-Produkt, ein Playmobil-Team aus plastinierten Seelen mit Preisschildern an der Stirn.
Verwandlung in eine Vermarktungsmaschinerie
„Wir haben aktuell nicht den Eindruck, dass es das richtige Zeichen ist, wenn er bei uns dabei wäre“, begründete Oliver Bierhoff die Relegation von Max Kruse vor dem Turnier. Bierhoff, dieser Prototyp des smart und harmlos dreinschauenden Unternehmenskommandeurs unserer Tage, der sich damit brüstet, regelmäßig im Silicon Valley herumzuspazieren, hat die Zerstörung des deutschen Fußballs planmäßig betrieben – seine Verwandlung in eine glitzernde, degoutante und bigotte Vermarktungsmaschinerie.
„Wir müssen das tun, wovon wir überzeugt sind, und dürfen uns nicht treiben lassen von der Frage, ob und wie das ankommt“, bekundete Bierhoff jüngst gegenüber dem Spiegel.
Dann macht mal schön ohne mich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo