Die Wahrheit: Gene Hackman beim Fussball
Tagebuch einer Taxifahrerversteherin: Die EM-Euphorie spült Erinnerungen an fast vergessene Stadionbegegnungen hoch.
K aum versucht man, mal nicht an Fußball und die EM zu denken, bedient sich das konditionierte Gehirn einfach aus dem Erinnerungsfundus. Zum Beispiel Mai 2016: Champions-League-Halbfinale, Bayern gegen Atlético, Taxifahrt während der Halbzeit. Der etwa 50-jährige original Berliner Fahrer mit türkischem Migrationshintergrund outet sich als Bayernfan. Wie? Nicht Hertha?
Darauf hat er bloß gewartet. „Ick hasse Hertha! Mein Vater hat uns imma in’t Stadion jeschleppt, Fußball war ja sein Leben. Der hat sogar noch Lokomotive Leipzig jejen Schwarze Pumpe jekiekt, im Ostfernsehen! Er konnte ja nich so jut Deutsch, da mussten wir ihm dit übersetzen, wat so zum Beispiel in der Sportzeitung stand. Dit war’n noch Zeiten! Ende der Siebzjer. Wir wollten ja lieber in’t Kino, aber nix … Seitdem hass ick Hertha. Strömender Regen, und ick im Stadion!“
Dem Mann gehört meine Empathie. Ich wollte als Kind auch lieber „Daktari“ gucken statt „Sportschau“. „In den Achtzigern war ich mal mit ’nem Kumpel bei Hertha,“ träumt mein Begleiter, „vorher ’ne Tüte rauchen, dann auf’n Oberrang. Es gießt in Strömen, und wer sitzt zwei Plätze neben uns? Gene Hackman!“
Zwar schaltet mein Gehirn derzeit, wie immer während großer Turniere, auf Überlebensmodus, also auf Essen, Schlafen, Fußball, aber damals war noch Platz für gesunden Zweifel. „Gene Hackman? Was war denn in der Tüte?“ – „Der saß da!“, trotzt mein Begleiter.
Vom Fahrersitz meldet sich Interesse: „Wer issn’t dit?“ – „Kennen sie 'French Connection’? Siebziger Jahre: Kultfilm. Der spielt da ’nen Drogenfahnder.“ – „Sein Se mir nich böse, aber ick bin ja eher so ’n Nerd, ick steh auf Raumschiffe und Aliens … sach ma, wie parkt ’n der da? Wieso lassen die die Potsdamer überhaupt rin nach Berlin … Also, wie hieß der noch mal? Dschiien Häckmänn? Ach, ick weeß, der hat doch … ,Die Hexen von Eastwick' hat der jespielt!“
Das ist mir allerdings neu. „Kannste ja auch nicht wissen“, tröstet mein Begleiter, „war nämlich Jack Nicholson.“ – „Nickelsn, ja,“ tönt es von vorn, „dit is der andere. Aber Dschiien Häckmänn … Wie schreibt man ’n dit?“ Von der Rückbank, zweistimmig: „Ge, Ne, Hack, Mann.“ – „Na, ick wer ma joogeln.“
Mich befällt Todesahnung. „Aber nicht während der Fahrt!“ – „Keene Sorje. Achtung, jetzt suchste bitte: 'Dschiiieen …“ – „Hack-Mann“, assistiert der Begleiter, was sich als Fehler erweist. „Jetzt weeß die Olle wieder nich, wat ick will.“ – „Wer?“ – „Na, Siri.“ – „Nur weil du wieder reinquatschst, macht der weiter, und wir müssen hier drin sterben!“, bejammere ich mein allzu kurzes Leben, derweil vorne markerschütternd „Dschiiiien Häck-Män! H-ä-c-k-mä-n-n!!“ gebrüllt wird. Bremsen quietschen, es kehrt Ruhe ein. „So, jetze.“
Ein Handy wird nach hinten gereicht, vom Display grüßt ein mürrisch blickender Schauspieler. „Das isser!“, bestätige ich erschöpft. „Block 33, Dauerregen!“, bekräftigt der Begleiter. Triumphierender Seufzer vorn. „Bei Hertha hat dit imma jeregnet. Aber mein Vater is trotzdem hin. Fußball war ebent sein Leben!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt