Die Wahrheit: Der graue Neinsager
Biologie und Komik: Die lustige Tierwelt – heute mit einem professoralen Papagei – und ihre ernste Erforschung (7).
Der Professor für Religionsphilosophie Klaus Heinrich war Mitbegründer der Freien Universität Berlin, und seine „Dahlemer Vorlesungen“ waren ein wahres Ereignis. Er hatte sich 1964 mit einer umstrittenen Streitschrift habilitiert: „Versuch über die Schwierigkeit, nein zu sagen“.
Dieser 218-seitige „Versuch“ erwies sich wenig später als fast der einzige Theorie-Beitrag zur „antiautoritären Bewegung“ in Westberlin (die meisten kamen von der „Frankfurter Schule“).
Der Heinrich-Schüler Cord Riechelmann schreibt: „Die religionsphilosophische Studie, die ,in einer Welt, die zu Protesten Anlaß bietet', die Formel vom Neinsagen untersuchte, wurde in ihrer geistigen Fernwirkung zu einem Stoff, der den Protest der Studenten in den späten Sechzigerjahren fütterte.“
Ein erstarkender Protest ist ein anschwellendes Nein. In vielen asiatischen Despotien fällt es noch heute den Menschen selbst im Alltag schwer, „Nein!“ zu sagen. In Indonesien zum Beispiel gibt es sieben Worte für „Ja!“, von denen zwei auch ein Nein bedeuten können. Wenn mein vietnamesischer Bekannter etwas im Gespräch verneinte, nickte er und sagte: „same same but different“.
Kritisches Denken für Tiere
Aus dem anfänglichen „Nein!“ des studentischen Protests wurde „kritisches Denken“. Die in Berlin lebende Schriftstellerin Yoko Tawada hat diese Haltung zur Welt (die Adorno als lebensnotwendigen „bösen Blick“ bezeichnete) wunderbar herausgearbeitet (in „Talisman“, 2011). Als Japanerin war ihr dieser Drang zur Kritik so fremd, dass sie ihn sich schnell wieder abgewöhnt hat. Ähnliches gilt für den Wissenssoziologen Bruno Latour, für den die „Kritik“ zu viel bodenloses Nein enthält, weswegen man fürderhin besser auf sie verzichten sollte.
Muss man sich das „Nein!“ nun aber (mühsam) erwerben oder wird man damit (leichthin) schon geboren? Solche Fragen stellen sich Lebenswissenschaftler. Im Jahr 2007 starb Alex, der „Professor unter den Papageien“. Er hatte in seinen 31 Jahren bei seiner Besitzerin, der Psychologiedozentin Irene Pepperberg, die ihm unentwegt Worte und Zahlen beibrachte, gelernt, auf verschiedene Weise „Nein!“ zu sagen. In Pepperbergs Buch „Alex und ich“, das sie ein Jahr nach seinem Tod veröffentlichte, heißt es: „Während unserer Arbeit lernte Alex, Nein zu sagen. Und Nein hieß dann auch Nein.“
Bis es so weit war, hatte er es erst einmal auf die unter afrikanischen Graupapageien übliche Weise zu „sagen“ versucht: laut kreischen, beißen oder, „wenn er keine Lust mehr hatte, auf die Fragen eines Trainers zu antworten, die betreffende Person ignorieren“, ihr den Rücken zukehren, sich ausgiebig putzen …
Meist kam er damit durch, seine „Trainer“ verstanden ihn: „Subtil war unser Alex nicht gerade“, meint Irene Pepperberg. Aber dann reichte ihm diese „Sprache“ nicht mehr im Umgang mit seinen Betreuern. Diese sagten häufig „Nein [bzw. No], wenn er etwas falsch identifizierte oder etwas anstellte.“ Irgendwann bemerkten sie, „dass Alex in Situationen, in denen ein ,No‘ angemessen gewesen wäre, ein Laut wie ,Nuu' hervorbrachte“. Irene Pepperberg, sagte daraufhin zu ihm: „Gut, dann können wir dir auch gleich beibringen, das richtig schön zu sagen.“ Schon bald verwendete Alex „diese Bezeichnung, um uns zu signalisieren: ,Nein, das mag ich nicht!‘“
In einem Dialog mit seiner Sprachtrainerin Kandia Morton hörte sich das folgendermaßen an: „K: Alex, was ist das? [ein quadratisches Holzstück hochhaltend] – A: Nein! – K: Ja. Was ist das? – A: Vier Ecken Holz [undeutlich, aber richtig] – K: Vier. Sag es schöner! – A: Nein! – K: Ja! – A: Drei … Papier [völlig falsch] – K: Alex. Vier, sag vier. – A: Nein. – K: Komm schon. – A: Nein.“
Publicity für einen Vogel
Laut Irene Pepperberg genoss Alex seine wachsende Publicity immer mehr: Kameras, Mikrofone, staunendes Personal, freudige Trainer und Fans etc.: „Er stand nun mal gerne im Mittelpunkt. Dann trat ein gewisses Glitzern in seine Augen, er plusterte sich auf – im übertragenen Sinne – und nahm die Pose des Stars an.“
Irgendwann war er jedoch das ewige Sprachtraining und auch die wachsende Aufmerksamkeit leid: „In puncto Verweigerung wurde er umso kreativer, je älter er wurde“, schreibt die Autorin, dann freute sie sich aber doch: „Alex versteht die Bedeutung des Begriffs ,Nein'.“ Sie folgerte daraus sofort positiv – ganz im Sinne ihrer Projektbeschreibung: „Sein Ausdruck eines negativen Konzepts war durchaus schon als fortgeschrittenes Stadium sprachlicher Entwicklung zu betrachten.“
Diese zu fördern (bis hin zur Mathematik) war allerdings teuer, zudem kamen dann noch zwei Papageien dazu, wechselnde Assistenten, das Labor, das Büro, ein Zimmer für jeden Vogel usw. Pepperberg gründete eine „Alex Foundation“, ließ sich scheiden und hielt Vorträge bei den Verbänden der amerikanischen Papageienfreunde, wobei sie stets darauf hinwies, dass es soziale Vögel seien und man sie deswegen nicht allein und in Käfigen halten dürfe. Sie bräuchten viel Beschäftigung und Ansprache. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelte sie nichtsdestotrotz einen „elektronischen Babysitter“ und „Unterhalter“ für Alex, bei dem er mittels eines Joysticks Bilder, Filme und Musikstücke auswählen konnte. Alex interessierte sich nur für die Musik, bei der er mitpfiff und -tanzte.
Im Jahr 1981 war es bereits zu einer ersten Reduzierung der finanziellen Förderung ihrer Forschung gekommen. Auch bei Pepperbergs Kollegen, die alle mit Schimpansen arbeiteten, denen sie die Taubstummensprache beibrachten, einige auch das „Kommunizieren“ mit einer Art von elektronischer Schreibmaschine.
In New York veranstaltete die Academy of Science in dem Jahr einen Kongress mit dem Titel „Das Kluge-Hans-Phänomen“. Hauptredner war ein Affenforscher, der bewies, dass sein Affe „Nim Chimpsky“ ihn jahrelang hinters Licht geführt hatte: Nim hatte überhaupt keine Ahnung von Grammatik, obwohl er zehn Sprachlehrer gehabt hatte. Demnach würden sich die Papageien- und Affenforscher, die ihren Tieren menschliche Sprache beizubringen versuchen, ihre Erfolge nur einbilden. Es handele sich dabei nicht um Intelligenz-, höchstens um Gedächtnisleistungen … Die akademische Verneinung lief darauf hinaus, dass dabei bloß „Forschungsgelder sinnlos verschwendet werden“. Und prompt wurden solche Projekte immer weniger gefördert.
Rührende Nachrufe auf einen Papagei
Der zweite Einbruch bei der Entwicklung des menschlichen Sprach- und Denk-Vermögens bei Graupapageien kam, als Irene Pepperberg mit Alex noch am MIT arbeitete, das wegen seiner Pionierrolle bei der Algorithmisierung unserer Lebenswelt im Geld nur so schwamm, aber nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ war damit erst einmal Schluss. Die Universität sagte Nein. „Nun hatte ich weder einen Job noch einen Ort, an dem ich meine Arbeit mit Alex und seinen Freunden fortführen konnte.“ Aber irgendwie ging es dann doch weiter – an einer anderen Universität, bis Alex im Herbst 2007 endgültig Nein sagte und seine Besitzerin darüber fast zusammenbrach.
Als in der Weltpresse jedoch überall rührende und rühmende Nachrufe auf den Papagei Alex erschienen (dessen Name ein Akronym für „Avian Learning Experiment“ – Vogellernexperiment – gewesen war), erholte sie sich langsam und dachte sich: Ich habe doch noch „Kyaroo“ und „Griffin“ – die auch schon ganz schön klug sind. Und Alex hat ja bereits „die Welt der Wissenschaft revolutioniert.“
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