Die Wahrheit: Wer braucht schon fließendes Wasser
Weil schon wieder mit Immobilien spekuliert wird, ist in Irlands Hauptstadt der Wohnraum knapp und für viele unbezahlbar geworden.
I ren haben ein kurzes Gedächtnis. Der Fast-Bankrott wegen der geplatzten Immobilienblase? Schwamm drüber, ist ja schon acht Jahre her. Die nächste Immobilienblase ist bestimmt stabiler. Die Hauspreise haben fast das Vorkrisenniveau erreicht. Die Mieten liegen deutlich darüber, denn Wohnraum ist knapp, vor allem zu erträglichen Preisen. Dabei stehen 340.000 Immobilien im ganzen Land leer, aber damit lässt sich vortrefflich spekulieren.
ImStag’s Head, einer alten Kneipe in der Innenstadt, veranstaltete der Wirt eine Art „Speeddating“ für Wohnraum. Wohnungssuchende mussten sich einen roten Aufkleber ans Hemd heften, wer ein Zimmer zu vermieten hatte, bekam einen grünen Aufkleber und ein kostenloses Bier. Natürlich waren die Roten in der Überzahl, sie balgten sich um die Plätze in der Nähe der Grünen und schmierten ihnen Honig ums Maul. Es war erniedrigend.
Meine Bekannte Tara setzte lieber ein Inserat für ihren Anbau von zehn Quadratmetern plus Bad ins Internet – in Uni-Nähe, für Studenten ideal. Innerhalb von acht Stunden hatte sie fast hundert Anfragen, viele von Ehepaaren. Manche versuchten es mit Bestechung, um an die Wohnung zu kommen.
Offenbar hatten sie den Ratgeber des Nachrichtenportals Waterford Whispers gelesen. Das empfiehlt, die Erwartungen zurückzuschrauben. Bei Wohnungsbesichtigungen soll man sich eine rosa Brille aufsetzen. Eine Zweizimmerwohnung für 1.600 Euro im Monat? Ein Schnäppchen. Braucht man wirklich fließendes Wasser? Und das Stromkabel, das ungeschützt aus der Wand ragt, muss man ja nicht anfassen.
Die „gefestigten Mietpreise“ seien ein Zeichen für den Aufschwung, sagte Premierminister Enda Kenny in einem Fernsehinterview bei einem Spaziergang durch die Innenstadt, während er versuchte, einen Obdachlosen, der plötzlich durch das Bild lief, in den Fluss zu schubsen.
Manche Menschen haben Glück und wohnen in der gediegenen Wohnsiedlung Collinswood im Norden der irischen Hauptstadt. Doch die Idylle ist in Gefahr. Nebenan, in Thornwood, hat ein Bauunternehmer 46 Häuser und 22 Wohnungen errichtet. Zu den überhöhten Preisen, die ihm vorschwebten, wurde er sie aber nicht los, weil diejenigen, die es sich leisten könnten, lieber in vornehmere Gegenden ziehen, und jene, die gerne einziehen würden, es sich nicht leisten können. Also verkaufte er die gesamte Siedlung an die Dubliner Stadtverwaltung, die daraus Sozialbau-Unterkünfte machen will.
Die Bewohner von Collinswood laufen Sturm dagegen. Jedes Kind wisse doch, dass die Kriminalitätsrate mit solchem Gesocks in der Nachbarschaft sprunghaft ansteigen werde, meinte einer. Dabei haben viele der potenziellen neuen Nachbarn vor nicht allzu langer Zeit in ihren eigenen Häusern gewohnt, doch sie wurden ihnen von den Banken weggenommen, weil sie wegen der Krise ihre Jobs verloren hatten und die Hypotheken nicht mehr bedienen konnten. Die Iren haben ein kurzes Gedächtnis.
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