Die Wahrheit: Es stinkt nach TV-Exkrementen
Jeremy Kyle ist eine der größten Knalltüten des englischsprachigen Fernsehens. Seine Verbrechen sind kaum überschaubar.
J eremy Kyle hat sich von seiner Frau getrennt. Aber das gehe niemanden etwas an, hat er in einer Presseerklärung verkündet. Er heuerte einen Rechtsanwalt an, der für den Schutz seiner Privatsphäre sorgen soll. Kyles Privatleben interessiert mich nicht im Geringsten. Aber man muss schon eine ziemliche Knalltüte sein, wenn man von der Missachtung der Privatsphäre anderer lebt und gleichzeitig seine eigene schützen will.
Im Frühstücksfernsehen des britischen Senders ITV läuft seit zehn Jahren die „Jeremy Kyle Show“. Dazu lädt der 50-Jährige mit Vorliebe Verlierer ein, die er fertigmachen kann: Alkoholiker, Straßenkinder, Ehebrecher. Ein Gast musste sich umziehen, weil auf seiner Kleidung Reklame zu sehen war. Er bekam von der Produktion einen Trainingsanzug. Kyle machte ihn dann wegen seiner Bekleidung zur Schnecke.
Die Sendungen stehen stets unter einem bestimmten Motto, zum Beispiel: „Ich beweise, dass das Kind, das du missbraucht hast, in Wirklichkeit dein Sohn ist.“ Oder: „Mein Vater ist mit meiner Verlobten durchgebrannt.“ Damit bei der Schmuddelshow auch ordentlich etwas los ist, hat das Produktionsteam vor Sendebeginn einen Alkoholiker mit Schnaps gefüttert und die Gäste ermuntert, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Einmal streckte ein Mann, der gerade von der Affäre seiner Frau erfahren hatte, seinen Nebenbuhler mit einem Kopfstoß zu Boden.
Dafür musste er vor Gericht. „Ich hatte neulich das Missvergnügen, die ‚Jeremy Kyle Show‘ zu sehen“, urteilte Richter Alan Berg. „Es scheint mir, dass der Zweck dieser Show darin besteht, dysfunktionale Menschen vorzuführen, in deren Leben das Chaos herrscht.“ Es erinnere ihn an eine Bärenhatz, sagte er und merkte an: „Die selbstgerechten Macher dieser Show gehörten eigentlich auf die Anklagebank.“
Es stinkt nach Exkrementen, wenn Kyle den Mund aufmacht und seinen Schmutzkübel über die Gäste auskippt. Dabei sieht er sich als Retter Großbritanniens. Er hat ein Buch geschrieben, in dem er die britische Gesellschaft „analysiert“. Sie sei kaputt, weil die Familien kaputt seien, schreibt Kyle, der zwei kaputte Ehen und vier Scheidungskinder vorweisen kann. Zu viele Menschen seien von Suchtmitteln abhängig, beklagt Kyle, der früher spielsüchtig war. Teenager seien zu promiskuitiv und haben viel zu früh Sex, meint Kyle, der einem 16-jährigen Schulmädchen nachstellte, als er 35 war. Er schrieb ihr schmachtende Briefe, flehte sie an, ihre Schuluniform anzuziehen, und „fummelte“ nach eigener Aussage mit ihr in seinem Auto. Der Unterschied zwischen ihm und seinen Showgästen besteht offenbar lediglich in einem teuren Anzug und einem hohen Einkommen.
Einmal hat sich jemand gewehrt. Als Kyle in dem britischen Säuferparadies Magaluf auf Mallorca drehen wollte, verpasste ihm jemand eine Ladung Pfefferspray. Kyle jammerte in die Kamera: „Meine Augen brennen, ich kann nicht richtig sehen, meine Kehle brennt, ich bin verwirrt und habe Angst.“ Wer einmal seine Show gesehen hat, kennt das Gefühl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!