Die Wahrheit: Gleisritters Rückkehr
Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL, überrascht mit einem erstaunlichen beruflichen und privaten Neuanfang.
Am Stadtrand von Eisenhüttenstadt kündigte gestern eine Gruppierung von entschlossen wirkenden Frauen in einer eilig einberufenen Pressekonferenz Konkurrenz zu Verdi an – die Gründung der Gewerkschaft der ErzieherInnen, kurz GDE.
Die Spannung ist mit Händen zu greifen, als sich die Flügeltüren zum Nebenzimmer öffnen und eine Stimme erklärt: „Meine Damen und Herren, vor einer halben Stunde wurde mit überwältigender Mehrheit und ohne Gegenstimme unsere Kollegin Claudia Weselsky zur Ersten Vorsitzenden der neuen Gewerkschaft der ErzieherInnen gewählt.“
Bei dem Namen „Weselsky“ geht ein Raunen durch die Runde und alle starren die Erwähnte an. Die sitzt nun bartlos und mit schulterlangem brünetten Haar vor einem Puschelmikrofon und hebt mit fester, noch nicht ganz femininer Stimme an: „Sie brauchen mich gar nicht so entgeistert anzugucken. Ich bin die Claudia Weselsky und war früher mal der Claus. Aber als ich die monatelangen Tarifverhandlungen zwischen Verdi und der öffentlichen Hand beobachtet habe, war mir klar: Da wirst du gebraucht!“
Dieses letzte Wort kommt drohend aus Claudia Weselskys Mund: „Als ich dann von den Kolleginnen von der GDE angesprochen wurde, habe ich mich bereit erklärt, mich wählen zu lassen und einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. Ich weiß, dass unsere Klientel vorwiegend kleine Kinder sind, die vielleicht vorm Onkel Claus mit Schnauzer Angst bekommen hätten. Andererseits war mein Job bei den Schlappschwänzen vom Restvorstand der GDL ja erledigt, und ich wollte den Rest meines Gewerkschafterlebens nicht irgendwo im Gleisbett verbringen.“
Unverschämte Versuche
Während sie mit ihren Fingern durchs Haar fährt und die ungewohnt volle Mähne schüttelt, gehen schon die ersten Hände der Pressevertreter nach oben, um Fragen loszuwerden. Wie viele Mitglieder die GDE denn habe, wen sie alles vertrete und ob sie den nächsten ErzieherInnen-Streik im Oktober organisieren werde?
Aus Weselskys Antworten ist sehr viel Claus herauszuhören. „Also, Mitglieder sind wir fünf. Klingt wenig, aber entscheidend, und zielführend ist, dass ich dabei bin. Auch mit einer Claudia am Verhandlungstisch werden es diese schwarzen Nullen von der Gegenseite nicht mehr wagen, unverschämte Schlichtungsversuche zu machen, um auf Kosten der Kinder und des Personals die Säckel der Kämmerer zu füllen. Die Herren Landsberg, Schmalstieg und Milbradt gehören eindeutig auf das Stellwerk der Geschichte!“ Welches Druckmittel eine Gewerkschaft im Erziehungswesen denn habe, will eine Journalistin wissen. Es gebe dort doch keine Züge, die man einfach stoppen könne.
Darauf scheint Claudia nur gewartet zu haben: „Gut, dass Sie das so fragen! Man kann auch im Kindergarten von Strecke zu Strecke denken! Von den Laternenumzügen mal ganz zu schweigen, wenn die erst mal ins Stocken kommen! Und wie sieht’s aus, wenn die Kinder fünf, sechs Jahre sind? Dann kommt das Schulamt an und will die Kinder vom Bahnhof … ääh … vom Hort abholen und einschulen. Und da sage ich gleich: nicht mit mir!“
Keine FaulpelzInnen
Das Publikum wirkt erst verwirrt, folgt dann aber fasziniert den weiteren Ausführungen: „Der verbeamtete Schulapparat geht in seiner Saturiertheit davon aus, dass ihm jedes Jahr neues Kindergartenmaterial zugeführt wird, um damit die Kassen und Klassen zu füllen! Damit wird bald Schluss sein. Wir als GDE werden zukünftig um die Zuständigkeit für die Kinder bis ins hohe Schulalter kämpfen! Und ich sage Ihnen als alter Personaler: Die Kinder werden auf unserer Seite sein! Haben Sie schon einmal den Trennungsschmerz miterlebt, wenn die Kleinen sich für immer vom Hort verabschieden müssen, nur weil gierige GrundschullehrerInnen Frischfleisch wollen? Und bevor Sie jetzt fragen, ob das nicht Mehrarbeit für meine KollegInnen bedeuten würde, wenn auch noch die Abiturienten von uns betreut werden. Ja, das ist Mehrarbeit! Aber wir sind ja keine FaulpelzInnen! Wir sind Gewerkschafter, die Arbeit wollen, wenn sie denn ordentlich bezahlt wird! Und das Geld holen wir uns aus den Schulbudgets zu den üblichen Beamtentarifen!“
Unter den Gewerkschaftlerinnen, aber auch im Publikum, kommt Beifall auf und Weselsky zum Ende: „Wir werden als GdE gleichfalls die Zuständigkeit für alle pädagogischen Zuliefererberufe übernehmen – die Kinderarztpraxen mit den U1- bis U10-Untersuchungen, die gesundheitsgefährdeten Kantinenfahrer, die diese ekelhafte Catererpampe ankarren müssen und auch die Eltern werden wir zu ihrem langfristigen Nutzen vertreten. Und damit kommt schon eine ganze Menge Mitglieder zusammen. Zwar tut es mir um den Kollegen Bsirske etwas leid, aber die Herren Schmalstieg, Landsberg und Milbradt sollen merken, wo der Bartel den Most holt beziehungsweise diese Gesellschaft ihre Kinder. Ende der Durchsage.“
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