Die Wahrheit: Die Grundgütige
Die verstorbene BMW-Großaktionärin Johanna Quandt liebte die Addition, besonders die auf Kosten anderer.
Als Johanna Maria Quandt Anfang des Monats starb, brach für viele eine Welt zusammen. Die Fließbänder bei BMW standen einen Tag lang still, Arbeiter aller Länder und Tarifklassen hielten sich an den Händen und weinten gemeinsam um die große Frau.
Die grundgütige Aktionärin galt jedem, der sie kannte, als Lichtgestalt, als Engel auf Erden, als das menschliche Antlitz des Kapitalismus. Die heilige Johanna der Wertschöpfungskette, wie sie halb neckisch, halb ehrfürchtig genannt wurde, war nicht bloß eine weitere steinreiche Unternehmerwitwe, die sich in jungen Jahren als Sekretärin an einen millionenschweren Nazi herangewanzt hat. Sie war eine zutiefst bescheidene Milliardärin und herzensgute Unternehmerin, die stets das Wohl des großen Ganzen im Blick behielt.
Glänzendes Kunststück
Wie wird es nun weitergehen? Das fragen sich vom Top-Management bis zum Putzdienst viele Angestellte des BMW-Konzerns. Die Unternehmergattin hatte schließlich „preußisch-pflichtbewusst“ (Stefan Quandt) mit 2,5 mal so vielen Arbeitern wie unter „dem alten Lustmolch Herbert“ (Quelle unbekannt) 5,5 mal so viele Autos hergestellt. Frau Quandt glückte sogar ein Kunststück, das in Zeiten enger geschnallter Gürtel, verheerender Finanzkrisen und hochverschuldeter Staaten nicht einmal 90 Prozent der deutschen Superreichen gelungen ist: Sie wurde immer reicher. Allein in den letzten fünf Jahren wuchs ihr Vermögen um weitere 500 Millionen Euro. Gleichzeitig – und hier zeigte Quandt besondere Größe – wuchs ihre Wohltätigkeit. Allein der CDU ließ sie gemeinsam mit ihren beiden Kindern Susanne und Stefan im Oktober 2013 stattliche 690.000 Euro zukommen.
Stiftungszweck Unternehmertum
Doch Johanna Quandt spendete nicht nur großzügig an Parteien mit Wirtschaftsverständnis, sie steckte auch Millionen in die Johanna-Quandt-Stiftung. Sozialneider sahen darin ein durchsichtiges Manöver der Steuerhinterziehung, doch der Milliardärin ging es stets um mehr. Um Verständnis beispielsweise. So ist als Stiftungszweck angegeben: „Die Johanna-Quandt-Stiftung setzt sich dafür ein, das Verständnis für die marktwirtschaftliche Ordnung und für die Bedeutung des privaten Unternehmertums als Träger der wirtschaftlichen Entwicklung in der Öffentlichkeit und den Medien zu fördern.“
Entsprechend hätte man in den bisherigen Nachrufen auf die Unternehmerikone etwas mehr Dankbarkeit seitens der Journalisten erwarten können. Aber die Jubelarien fielen seltsam gezwungen aus: ein halbherziges „bescheiden und ausgesprochen wohltätig“ (Der Spiegel), ein laffes „Johanna Quandt hat mit ihrer Herzlichkeit und ihrer warmen, unkomplizierten Art ihr Umfeld beeindruckt“ (Süddeutsche Zeitung) oder ein abgeschmacktes „Sie musste zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ihrer Familie gedrängt werden, stellte sich der Vergangenheit dann aber vorbildlich.“ (Wirtschaftswoche).
Bundesverdienstkreuz und Seepferdchen
Dabei ist „vorbildlich“ die Untertreibung des Jahres. Dass die sonst so wortkarge Quandt aus dem Erzählen womöglich kaum mehr herauskam, wenn es um die quandtsche Vermögensmehrung durch Arisierungen, Rüstungsbetriebe, den Einsatz von 57.000 Zwangsarbeitern (davon 3.700 KZ-Häftlinge) und um das KZ-Außenlager (mit Originalgalgen) auf dem firmeneigenen AFA-Werksgelände ging – das wäre schon das große Bundesverdienstkreuz wert gewesen. Tatsächlich erhielt die Unternehmerin die begehrte Ehrung dann aber für ihr Engagement in Bezug auf die Berliner Charité, der sie in Sachen marktwirtschaftliches Denken auf die Sprünge half. „Ein Vermögen zu besitzen, das bedeutet auch, gesellschaftliche Verantwortung zu tragen“, sagte sie gewohnt philanthropisch bei der Verleihung 2009. Ihr Mann Herbert, der dank des marktwirtschaftlichen Denkens der Siegermächte nicht als Hauptkriegsverbrecher verurteilt wurde, hatte es nur zum Bayerischen Verdienstorden, einer Ehrenurkunde und dem Seepferdchen gebracht. Vorbildlich auch, dass sich die Familie Quandt nie bei den Überlebenden oder deren Kindern entschuldigte – die Gefahr einer Retraumatisierung wäre zu groß gewesen. Man wollte sich nicht abermals auf Kosten anderer in den Mittelpunkt rücken.
Unerfüllte Träume
Johanna Quandt blieb ohnehin gerne im Hintergrund. Daher wissen wir leider nur wenig über dieses beeindruckende Vorbild an Anstand, Güte, Moral, Pflichtbewusstsein, Nächstenliebe, Bescheidenheit, Warmherzigkeit, Humor und Geschäftssinn. Nur so viel ist gewiss: Sie konnte über Wasser wandeln, tagelang nur von Licht und Jungfrauenblut leben und mit ihren Sittichaugen Vorstandsmitglieder hypnotisieren. Gerne hätte sich die Großaktionärin von exotischen Lustboys im „Stutengarten“ – dem Hofgut ihres Mannes – nach allen Regeln der Kunst verwöhnen lassen, während bekannte Politiker wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel zum Gaudium der Familie Quandt von einbeinigen Kriegsopfern nackt in Mehl gewälzt werden. Doch kannte die gebürtige Berlinerin eine weitaus größere Freude als sinnliche und sündhaft teure Extravaganzen. Eine Freude, die ihren bis ins hohe Alter wachen Verstand vielleicht am besten illustriert: Addieren.
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