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Die WahrheitWo sind die Zahnlosen?

Kolumne
von Pia Frankenberg

Tagebuch einer Trauerfeiernden: Nach einem Gedenkfest für Harry Rowohlt zog es die Trauergemeinde in ein düsteres hanseatisches Wasserloch.

V iele Autoren besingen seltsame Reiseabenteuer oder die Absonderlichkeiten menschlicher Begegnungen, doch selten ist das Ergebnis so schön wie beim unvergleichlichen Harry Rowohlt, für den jetzt, ein paar Wochen nach seinem Tod, in der Hamburger „Fabrik” ein Fest gefeiert wurde. Harrys besondere Liebe gehörte ausgewählten sprachlichen Fundstücken, und ich erinnere mich wehmütig, von ihm bei jedem Treffen grinsend mit einem Satz begrüßt worden zu sein, den vor vielen Jahren irgendein pubertierender Jüngling zu Harrys Freude mit schwerem französischen Akzent in die Welt posaunt hatte: „Aaah, Chou-Chou, deine kleine Popoooo! Er mache misch ganz Caroussell!“ Wer wird mir – und mit solch einer Stimme! – je wieder so etwas Schönes sagen?

Nach der Feier wollten einige ihre schweren Herzen noch in ein empfohlenes Wasserloch tragen, eine Kneipe namens „Treibeis“. Man erfragte den Weg beim großflächig tätowierten „Fabrik”-Wächter, dessen Miene sich warnend verdüsterte. „Vorsicht! Übler Laden! Nur Alkis, Drogen und Zahnlose!”

Auf dem Weg grübelte ich, worin die besondere Gefährlichkeit Zahnloser bestehen könnte, fehlt ihnen doch gerade jenes Werkzeug, das bei tätlichen Auseinandersetzungen als letzter Ausweg gilt. Im fairen Kampf ist beißen zwar verpönt, aber was im Leben ist schon fair? Gott sei Dank lebt man ja in Berlin, der Hauptstadt des Exzesses, und ist darin geschult, über herumliegende, besoffene oder bekiffte Feierleichen zu klettern und auch sonst allerlei Herausforderungen durch Menschen mit oder ohne Zähne zu meistern. „Treibeis”, wir kommen!

Draußen vor der Bar waberten sanfte Hanfschwaden, wir aber vermissten die versprochenen Bedrohungen. Auch drinnen fanden sich keinerlei Zahnlose, ausgenommen wir selbst, die wir gegen drei Uhr morgens anfingen zu schwächeln.

Auf dem Heimweg dann endlich ein dem Abend angemessenes Harry-Rowohlt-Erlebnis. Die Klatschkolumnen einschlägiger Boulevardblätter können im Vergleich zum Mitteilungsbedürfnis meines Taxifahrers als diskret bezeichnet werden. Während er mich durchs dämmernde Hamburg schaukelte, durfte ich an seiner wilden Affäre mit einer Stammkundin eben jener Kneipe teilhaben, vor der so eindringlich gewarnt wurde, und erfuhr, dass das Feuer der Dame nicht nur Treibeis, sondern ganze Gletscher zum Schmelzen bringen konnte. Wenig überraschend wurde er von ihr verlassen. Monate später schließlich, plapperte er zutraulich weiter, besprach er mit einem Fahrgast die Dinge des Lebens unter Erwähnung sämtlicher Details der verflossenen Liaison, worauf der Mann immer wortkarger wurde, um dann wiedererkennend den Namen seiner Frau zu ächzen.

Frauen! Fangt nie was mit Taxifahrern an, denn erst mache eure kleine Popooo sie ganz Carussell, aber kaum habt ihr genug, wird euer persönliches Kamasutra dem Rest der Welt und eurem Ehemann serviert. Und pflegt eure Zähne, damit ihr auch morgen noch kraftvoll zubeißen könnt!

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