Die Wahrheit: Klauen mit der Kanzlerin
Was stiehlt Angela Merkel eigentlich so? Statistisch gesehen müsste sie Waren im Wert von 26 Euro im Jahr mitgehen lassen.
R ein statistisch klaut jeder Deutsche jährlich Waren im Wert von 26 Euro, erzählte uns der Berliner Kurier am 18. Juni 2015 und untertitelte seine Überschrift: „Auch die Kanzlerin!“ Das verwundert zunächst, erscheint aber auf den zweiten Blick logisch, denn wenn von jedem Deutschen die Rede ist, dann klaut eben auch die Kanzlerin. Bleibt nur die Frage: Was klaut denn die Kanzlerin so für 26 Euro im Jahr?
Die Antwort geben die Boulevardisten des Kurier im ersten Absatz ihres Artikels: Parfüm, Schnaps und Smartphones. Moment mal?! Parfüm, Schnaps und Smartphones? Parfüm ist ja noch nachvollziehbar, denn vom vielen Regieren schwitzt man natürlich und will dabei wenigstens gut riechen. Außerdem kann man Parfüm leicht im Jackett verschwinden lassen wie eine Packung Brühwürfel für die heimische Kartoffelsuppe.
Aber Schnaps? Ist die Kanzlerin etwa Alkoholikerin geworden? Warum muss sie sich dem Feuerwasser hingeben? Kann sie die ganze Griechenland-Tragödie nicht mehr ertragen und sucht deswegen Zuflucht im Hochprozentigen? Oder betäubt sie damit ihre Angst, im Zuge des NSA-Skandals als eingeweihte Mitwisserin dazustehen? Braucht sie gar ein Schlafmittel für die Nacht, wo ihr in grausigen Albträumen die Geister ertrunkener Flüchtlinge begegnen? Man weiß es nicht.
So bleibt dann noch das Smartphone. Wieso ein Smartphone? Das ist doch nicht abhörsicher! Warum dann nicht gleich ein Krypto-Handy? Vermutlich liegen wertvolle Krypto-Handys nicht einfach so auf Grabbeltischen von Kaufhäusern herum. Außerdem scheint man in Regierungskreisen dazu übergegangen zu sein, sowieso nur noch das zu sagen, was gewisse Mächte von einem hören wollen. Das vereinfacht nicht nur die Kommunikation, sondern macht auch einen Lauschangriff völlig überflüssig – schließlich ist man ja unter Freunden.
Gerechterweise muss aber noch eine andere Möglichkeit in Betracht gezogen werden: Alle Deutschen klauen, nur nicht die Kanzlerin. Das würde aber bedeuten, dass nur 99,99 Prozent aller Deutschen jährlich Waren im Wert von 26,01 Euro klauen. Rund gerechnet. Das würde aber auch bedeuten, dass die Kanzlerin kein Parfüm braucht, weil sie vom vielen Regieren nicht schwitzt. Oder sie schwitzt gerade viel und riecht deswegen nicht gut. Oder sie regiert erst gar nicht, um beides zu vermeiden. Jedenfalls scheint sie alles komplett nüchtern zu erleben, und die Flüchtlingstoten prallen eiskalt an ihr ab.
Es kann auch sein, dass die Kanzlerin den Jahresetat von 26 Euro ihrer Bank anvertraut hat, die für sie klauen geht und sie ständig mit satten Gewinnbeteiligungen an Schnapsfirmen, Duftstoffkonzernen und Handy-Herstellern versorgt. So kann sie sich das ganze Jahr über die griechische Tragödie schöntrinken, nächtliche Dämonen weg-saufen und ständig gut riechen, auch wenn sie mal nicht regiert.
Die Kanzlerin ist eben etwas Besonderes, weil sie sich von jeder Durchschnittsstatistik abhebt und immer ihre eigene Kartoffelsuppe kocht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste