piwik no script img

Die WahrheitIn Zuweisungsgewittern

Kolumne
von Arno Frank

Zweimal werden die Grenzen von Geschlechtern und Rassen übertreten. Das sorgt für Furore. Caitlyn Jenner wird gelobt und Rachel Dolezal beschimpft.

I ch sitze in einem Film, den ich nicht verstehe. Wenn ich dumme Fragen stelle, weil ich der Handlung nicht folgen kann, werde ich meistens niedergezischt. Manchmal erhebt sich ein besser informierter Zuschauer, schleicht durch die Reihen, beugt sich vertraulich über mich – und spuckt mir ins Gesicht.

Zuletzt sah ich, wie sich ein männlicher Exathlet in den USA in eine noch immer ziemlich athletische Frau verwandeln und als solche von Annie Leibovitz für den Titel der Vogue fotografieren ließ. Er hatte also, den Zuschreibungen der Gesellschaft zum Trotz, sein Geschlecht geändert – ob nun das biologische oder das soziale, sei mal dahin gestellt oder auch dorthin. Jedenfalls ist er jetzt eine Sie in dem Sinne, dass er sich nun Caitlyn nennt statt Bruce, Schminke und Kleidchen trägt. All die Dinge also, die es der offenbar enorm zuschreibungsfreudigen Gesellschaft erleichtern, sie als Frau zu erkennen.

Diese Verwandlung ist eine fortschrittliche und als „mutig“ und „vorbildlich“ zum allgemeinen Applaus freigegeben. Wenn nun aber eine weiße Frau sich mit Schminke und Kleidchen als schwarze Frau inszeniert, wie die Aktivistin Rachel Dolezal das getan hat, handelt es sich es sich um Lüge, Verrat und groben Unfug. Da wird dann gefragt: „Darf man das?“ Als müsste plötzlich doch höflichst um die Erlaubnis von Experten fragen, wer sich neu erfindet – kommt halt drauf an, als was.

Mir ist das ganze Zuweisungsgewitter von großer Schleierhaftigkeit umwölkt. „I can’t get my head around it“, wie der Angloamerikaner sagt und auch die Angloamerikanerin, schwarz wie weiß. Ein Mann darf sich eine neue Identität zurechtzimmern, eine Frau aber nicht? Ist es das? Oder hinkt der Vergleich? Hier übertänzelt ein privilegierter Prominenter unter dem Beifall der Öffentlichkeit eine willkürlich gezogene Grenze, um auf der anderen Seite „bei sich anzukommen“.

Willkürlich ist aber doch auch die Grenze zwischen den „Rassen“, die es ebenfalls nicht gibt. Also die Rassen, die Grenze schon. Wieso lassen dieselben Leute, die Caitlyn Jenner für ihren performativen Übertritt bejubeln, eine Rachel Dolezal für ihr wesentlich gefährlicheres „passing“ im diskursiven Stacheldraht verbluten?

Wenn sich Vorbild Jenner in der Haut eines Mannes gefangen fühlt, wäre dann zugunsten der Angeklagten Dolezal nicht anzunehmen, dass sie sich in ihrer weißen Haut gefangen fühlte? Den Gesetzen welcher Logik würde das widersprechen? Ist undenkbar, dass in den Körpern mancher schwarzer Frauen weiße Männer gefangen gehalten werden? Was dann? Pech gehabt? Und könnte es sein, dass sich hier zwei grundgute Ideologien so unglücklich verschränken, dass sie sich heillos in Widersprüche verstricken? Und wie sollen diese Aporien aufgelöst werden? In Salzsäure?

Die Fragen mögen ignorant wirken, aber sie sind ohne Ranküne gestellt. Dankbar wäre ich für Antworten, die sich mir ohne abgeschlossenes Studium der einschlägigen „studies“ erschließen. Sie dürfen auch gezischt sein. Oder gespuckt. Ich bleibe derweil im Kino. Ich will wissen, wie der Film ausgeht. Und das Popcorn schmeckt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Lieber Arno Frank,

    diese Fragen sind keinesfalls ignorant. Die Analysen die daran vorbeigehen in dem sie Sachverhalte zu erklären glauben die keiner Frage entsprechen, hingegen schon.

    Und an dieser Stelle des Individuums das sich zu bestimmen beginnt was ein Subjekt ist. In diesem Sinne erfahren andere etwas von der Freiheit der Selbstbestimmung - und überhaufen diesen Ort mit allem was gerade einfällt. Selten eben mit einem Gedanken.

  • Da sind wir also zwei, der Arno Frank und ich. Ich kann dem Film, den er gerade schaut, nämlich genau so wenig folgen. Es fängt schon damit an, dass ich bis heute nicht kapieren kann, wieso man Eintritt zahlen soll dafür.

     

    Warum der Arno Frank im Kino nichts versteht, hat er leider nicht ausgeführt. In meinem Fall muss es an einer kleinen Schraube liegen. Die fehlt mir nämlich, hat man mir gesagt. Ich hab das sogar schriftlich, sauber abgeheftet. Von Leuten, die etwas davon verstehen.

     

    Ich bin kein Spezialist, kein Arzt und auch kein Techniker. Mit Schrauben der diversen Art kenn' ich mich nicht so aus. Ich weiß nur, dass man drehen kann daran. Dann halten sie entweder etwas andres richtig fest, oder sie fallen letztlich ab.

     

    Da ich kaum etwas weiß über die vielen Schraubenarten, die grad im Umlauf sind, hab ich mir was drauf gereimt. Die Schraube, die mir fehlt, hab ich mir überlegt, ist die, mit der die meisten andren Leute ihren Verstand am Hirn befestigt haben. Bevor sie das 3-D-Kino betreten, das sie Gesellschaft nennen, drehn sie ihre Schraube locker. So lösen sie ihren Verstand vom Hirn. Vermutlich geben sie ihn an der Kasse ab. Das kann ich nicht. Bei mir ist die Verbindung unlösbar. Mein Hirn ist festgewachsen am Verstand und umgekehrt. Das macht, dass ich versuche, einen Sinn zu finden im Kinofilm, den es wahrscheinlich gar nicht gibt.

     

    Das Leben sei, sagt man, kein Ponyhof. Dass es kein großes Kino sei, hab ich bisher noch nicht gehört. Man muss nicht hinter allem einen Plan vermuten. Es sei denn, man hat keine Schraube locker. So viel hab ich gelernt inzwischen. Und selbst, wenn ich was ändern wollte an mir – ich könnte nicht. Ich bin kein weißer Mann. Ich bleibe also brav im Kino sitzen. Das Popcorn können sie sich meinetwegen schenken. Doch wie der schräge Film ausgeht, das würde ich tatsächlich gerne wissen. Ganz ohne Sinn ist schließlich auch die Spannung ganz erheblich.