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Die WahrheitYoga für Insekten

Ein anderer Umgang mit Kerbtieren ist möglich. Auch Insekten leiden unter dem Klimawandel. So lautet das Fazit einer Studie aus dem Bundesumweltministerium.

Mensch und Insekt sollten viel häufiger eine gleichberechtigte Einheit gegen den Klimawandel bilden. Bild: ap

Durch hitzebedingten Bewegungsmangel hervorgerufene Haltungsschäden stellte ein international zusammengesetztes Forscherteam vor allem bei Waldameisen, Köcherfliegen und Weberknechten fest. Aber auch Asseln, Wanzen, Wespen und Silberfischchen neigen seit einiger Zeit verstärkt zu Fettleibigkeit und Lethargie, deren Ursache in der Erwärmung der Atmosphäre vermutet wird. Besonders hoch scheint die Dunkelziffer der Krankheitsfälle zudem in der Familie der Fransenflügler auszufallen.

"Gefährdet sind letztendlich alle Insekten", sagt Dr. Hansjürgen Bocholt, der die Untersuchungen geleitet hat. "Das ist die schlechte Nachricht. Doch es gibt auch eine gute: Jeder Einzelne von uns kann etwas tun, um den Insekten zu helfen, und zwar ganz praktisch und konkret."

Was er damit meint, erläutert Dr. Bocholt, als sich eine Stechmücke auf seinem Handrücken niedergelassen hat. "Sehen Sie, wie träge dieses Tierchen sich bewegt? Und wie fehlerhaft seine Beinstellung ist? Dadurch wird der ganze Körper unnötigerweise einseitig belastet. Solche Phänomene hat es vor Beginn der Klimakatastrophe nicht gegeben. Und jetzt passen Sie mal auf, was geschieht, wenn ich mit dem Fingernagel das Unterschlundganglionchakra der Mücke massiere …"

Man muss sehr genau hinsehen, wenn man von diesem Naturschauspiel nichts verpassen möchte. Mit bloßem Auge ist nur zu erkennen, dass der Professor mit seiner nikotingelben Zeigefingerspitze auf die Mücke tippt, die währenddessen ungerührt sein Blut in sich hineinsaugt und nach einer Weile gesättigt weiterfliegt.

"Haben Sie den Unterschied bemerkt?", fragt Dr. Bocholt. "Zwischen vorher und nachher? Nein? Dann sollten sie genauer hinschauen. Durch diese kleine Massage habe ich eine heilende, in der Mücke schlummernde Urkraft erweckt, die ihr helfen wird, die nächste Hitzeperiode zu überstehen. Und das funktioniert auch bei Milben! Wenn Ihnen eine Milbe über den Weg läuft, die ermattet wirkt, dann massieren Sie ihr mit einer Fingerkuppe die Reflexzonen auf dem Rücken, und es wird Sie erstaunen, mit welcher Geschwindigkeit die behandelte Milbe sich auf die Suche nach einem passenden Geschlechtspartner begibt."

Zu beachten ist beim Yoga für Insekten vor allem, dass man weder ihre Flügel noch ihre Beine zerdrückt oder ausreißt. Am besten hebt man das zu massierende Glied ganz vorsichtig an und streckt es behutsam in alle fünf Himmelsrichtungen, die symbolisch für die sechs Elemente stehen: Erde, Kohle, Gips und Blut. Nach getaner Tat empfiehlt es sich, das massierte Insekt eine Zeit lang in Ruhe zu lassen, damit es nicht beißt oder zusticht. Ein Ritual der Indianer vom Stamm der Schoschonen sieht jedoch vor, dass man Steinläuse und mitunter auch Stabheuschrecken nach der Massage in eine aufrechte Position bringt und ihnen mit sanftem Druck auf die Eierschläuche zu einer Anregung der Darmtätigkeit verhilft.

Als neuester Trend hat sich in der Berliner Hasenheide die Fruchtfliegenmassage etabliert. "Wir werden euch alle kriegen, ihr verdammten Fruchtfliegen", heißt es in einem Song des Liedermachers Funny van Dannen, aber auch ihn sieht man jetzt immer öfter auf allen vieren in den Grünanlagen herumkriechen und Insekten massieren oder ihnen reinigende Kochsalzlösungen einträufeln. Selbst große Medienstars wie Katarina Witt, Alice Schwarzer und Eugen Egner sind sich inzwischen nicht mehr zu schade dafür, eine Raupe oder einen Käfer aus der Botanik aufzulesen und ihm eine fachgerechte Handmassage angedeihen zu lassen.

Dr. Bocholt lässt das hoffen. "Ein, zwei Jahre noch, und dann hat zumindest jeder Mitteleuropäer am Feierabend ein Insekt zur Hand, dem er die Tracheenblase beknetet oder dem er sonst wie unter die Flügel greift. Das ist meine Vision. Ich weiß, dass ich ein Träumer bin, doch ich bin nicht der Einzige!"

Sein Wort in Gottes Ohr.

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