Die Wahrheit: Heilige Scheiße!
Vatikan: Johannes Paul II. hat noch so manche Sprechung vor sich.
Es ist Sonntag, der 1. Mai 2011. Im Petersdom zu Rom findet die Feier anlässlich der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. statt. Eigens zu diesem Zweck hat man den Sarkophag des Kandidaten aus der "Garage", wie man die Seitenkapelle zur Lagerung verstorbener Päpste in flapsigem Kirchenfranzösisch nennt, gezogen. In einer Sprache, die zum Glück keiner versteht, murmelt Papst Benedikt XVI. ein paar weihevolle Worte; das ZDF und Radio Maryja übertragen live.
Was im ersten Moment noch superwichtig klingt, ist jedoch nur eine reine Pflichtübung innerhalb der Hierarchie der postmortalen Papstbeförderungen: Seligsprechung, Heiligsprechung, Madigsprechung. Fast möchte sich hier der Eindruck verstärken, der römische Katholizismus sei keine Religion, sondern ein Irrenhaus voller Bürokraten, die nach streng festgelegten Prinzipien ihre eigenen Hirngespinste verwalten. Doch auf den zweiten Blick ergibt diese Klassifizierung selbstverständlich Sinn. Schließlich wäre es ja auch vollkommen verfehlt, ein UFO-Quartett ohne die Kategorien "Anzahl der Laserkanonen" und "Airbag gegen Meteoriteneinschläge vorhanden: Ja/Nein?" herauszubringen.
Die Seligsprechung als erste Stufe ist jedenfalls kaum mehr als die absolute Pflicht, eine quasi altersabhängige Mussbeförderung für 08/15-Päpste, die nichts Schlimmeres verbrochen haben, als am Tafelsilber genascht oder den Holocaust abgenickt zu haben. Seliggesprochen wurde in der Vergangenheit folglich jeder dahergelaufene Neben-, Zwischen- oder Gegenpapst. Sogar dem Schimpansen Cheeta I., den das Konklave 1801 aus Protest gegen die fortschreitende Säkularisierung auf den Heiligen Stuhl gewählt hatte, wurde diese Auszeichnung zuteil.
Die Kür beginnt hingegen mit der Heiligsprechung. Für diese gibt es klare Kriterien. Erste Voraussetzung ist die zuvor erfolgte Seligsprechung. Ohne Seligsprechung gibt es keine Heiligsprechung - Überspringen gilt nicht. Vor der Heiligsprechung liegt eine hundertjährige Bewährungsfrist, in der der Seliggesprochene sich beispielsweise keine Schlägereien oder Trunkenheitsfahrten zuschulden kommen lassen darf, was ihm nicht zuletzt aufgrund seiner Verstorbenheit fast immer gelingt. Weitere unbedingte Voraussetzungen sind ein "Martyrium" oder der "Heroische Tugendgrad", sowie "im Falle des Nicht-Martyriums" zusätzlich der "Nachweis eines Wunders" (Wikipedia).
Der heroische Tugendgrad ist noch vergleichsweise einfach zu erreichen. Er besteht zum Beispiel immer dann, wenn man über hundert Homosexuelle persönlich auf den Pfad der Tugend zurückführen oder sie wenigstens in den Dienst der Kirche stellen konnte. Auch das Küssen des Bodens beim Besuch radioaktiv verseuchter Länder erfüllt bequem die Anforderungen.
Mit dem Wunder ist es schwieriger, denn darüber entscheidet die sogenannte Wunderkommission. Sie unterscheidet Hilfswunder, Wunder ersten, zweiten und dritten Grades sowie Blaue Wunder, und nur die letzteren beiden werden von der Kommission auch anerkannt. So wurde Papst Moebius V., der im Jahre 1211 für sich das Wunder reklamierte, einem "Chorknaben die Rosette versilbert" zu haben, für dieses Wunder eben mal zweiten Grades von der Kommission in einem Krötenpfuhl versenkt.
Ein akzeptables Wunder mit ausreichend Luft nach unten kann sich dagegen Papst Petrus Mueller VI. auf den Zettel schreiben, als er 1888 beim 8:7 von Rapid Srebrenica gegen Pyro Stankovic nicht nur das Endergebnis und den Halbzeitstand (0:7), sondern auch die Zahl der Elfmeter (11) korrekt zu wetten "wusste".
Sehr schwammig verhält es sich leider nach wie vor mit dem Qualifikationsmerkmal "Martyrium". Hier entscheidet eine Publikumsjury, deren Urteil, um es vorsichtig auszudrücken, reichlich launisch ausfallen kann. Wo heute leichte Kopfschmerzen genügen, wird morgen müde abgewinkt, selbst wenn der entsprechende Kirchenfürst von Protestanten achtkant durch den Fleischwolf gedreht wurde.
Fairer verläuft da schon die Madigsprechung, die Königsklasse unter den Sprechungen. Der jeweilige Papst muss einfach nur lange genug tot sein. Allerdings hatte ausgerechnet Papst Johannes Boius III., der Selig- und Heiligsprechung noch in ungewöhnlich souveräner Manier absolviert hatte, das Problem, mit einer Körpergröße von 1,56 Meter das für einen madig zu sprechenden Papst unbedingt vorgeschriebene Mindestmaß um gerade einmal vier Zentimeter zu unterschreiten.
Papst Johannes Paul II. hat in jedem Fall noch eine ganze Menge vor sich. Drücken wir ihm beide Daumen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich