Die Wahrheit: Gebanntes Kauderwelsch
Das Kauderwelsch der "Kreativen" geht so: "Time-Code-gesteuert wird im Content Stream spezifische Bannerwerbung eingeblendet. Im Content Stream on demand ist alles klickbar ...
... Personen oder Gegenstände sind im Film mit Hotspots markiert, den clickable video objects. Direkt im Stream kann der User auf Werbebotschaften reagieren. Der User wird mit dem Klick mit einen Onlineshop verbunden und kann online bestellen." Alles klar?
Ins Deutsche übersetzt: Es geht hier um Bannerwerbung beim Fernsehen, und das meint etwa Folgendes: Wenn man sich in Zukunft am Bildschirm "Casablanca" ansieht und die Sequenz kommt, in der sich Ingrid Bergman und Humphrey Bogart an den Nachmittag in Paris erinnern, weist ein Banner auf dazu passende Urlaubsreisen nach Paris vom Anbieter X oder Champagner der Firma Y hin. "Der User kann ohne Zeitverlust per Flippings Zusatzinformationen zu Ereignissen, Produkten und Menschen erhalten", während sich Bogart betrinkt und "die Kleine" ihm partout nicht so in die Augen schauen will, wie er sich das später ausmalt - die Zeiten haben sich geändert.
Bogarts Satz "Ich schau dir in die Augen, Kleines!" wird übrigens krass missverstanden, wenn man ihn nur als Machospruch versteht. Im amerikanischen Slang hieß er ursprünglich "Heres good luck for you" - und das war ein gewöhnlicher Trinkspruch, in etwa: "Auf dein Wohl, Liebling!" Bogart nuschelte den Satz - den halb Betrunkenen spielend - aber so unklar daher, dass der Übersetzer "Heres looking at you, kid!" verstand und den restlos unverständlichen Satz, so gut wie es eben ging, übertrug mit: "Ich schau dir in die Augen, Kleines!"
Kommt der "Content Stream on demand", werden die Champagnerfabrikanten an dieser Stelle des Films ihre Banner hochhalten und zum Mittrinken mit Humphrey und Ingrid animieren. Und die "Liga gegen Alkoholismus" könnte die Szene zum Anlass nehmen, den Film als "jugendgefährdend" auf den Index setzen zu lassen oder gleich einen Verbotsantrag zu stellen bei der Bundesprüfstelle. Apropos Alkoholwerbung. Wenn man die aggressive Warnung auf heutigen Zigarettenpackungen sieht, muss man an das französische Gesundheitsministerium von ehedem erinnern. Um 1958 drohte es noch nicht dröhnend mit dem Tod durch Rauchen, sondern kam ganz samtpfotig daher. In der Pariser Metro hingen Schilder mit dem Hinweis: "Trinken Sie nicht mehr als einen Liter Wein pro Tag!"
Was die Bannerwerbung der Zukunft betrifft, sieht die Sache trüber aus. Was wird, wenn dereinst schräge Typen oder zwielichtige Institutionen auf die Idee kommen, Bannerwerbung zu betreiben in Filmen? Wer könnte das noch verhindern, wenn das Geschäftsmodell Bannerwerbung Erfolg verspricht? Politische und diplomatische Verwicklungen sind zu erwarten, wenn Bin Ladens Erben dereinst Spendenaufrufe in Hollywood-Spielfilme lancieren oder der Vatikan erbauliche Sentenzen in die Filme von Woody Allen oder Luis Buñuel einbaut. Dann schon mal viel Spaß dabei!
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