Die Wahrheit: Im Jahr des Hasen: Heimweh
Aufgrund gewisser Umstände, die hier nicht erläutert werden sollen, bin ich gezwungen, weiterhin in Deutschland zu bleiben. Das hat zur Folge, dass mein Heimweh ...
... nach Peking immer stärker wird. Um dieses Gefühl zu bekämpfen, strolche ich in Asia-Märkten herum und hole mir die dort ausliegenden chinesischsprachigen Zeitungen. So kann ich endlich wieder wie zuhause auf die vertrauten Schriftzeichen starren, ohne etwas zu begreifen. Die Zeitungen heißen Ouzhou Xinbao (Europe Times) oder Huashangbao (Chinesische Handelszeitung) und kommen allesamt in Deutschland heraus. Seit Ende Juni ist auch die Deutsch-Chinesische Allgemeine Zeitung auf dem Markt, die allerdings auf Deutsch erscheint.
Dem Blatt entnehme ich, dass es hierzulande einen siebzigköpfigen chinesischen Chor namens SinoPhonia gibt, der unter anderem 2009 beim "Mondfestkonzert" in Ludwigsburg aufgetreten ist. Das ist natürlich hocherfreulich. Der Chor ist allerdings in Stuttgart beheimatet, wo ich niemals bin und sein werde. Zudem kann ich seit dem Stimmbruch nicht mehr singen. Als Chinasurrogat kommen die Sinophonen also kaum in Frage.
Auch von einem Besuch im Dong Xuan Center in Berlin-Lichtenberg hatte ich mir mehr versprochen. Zwar sieht es hier tatsächlich so aus wie auf einem Markt in Peking jenseits der vierten Ringstraße, sind doch die drei großen Hallen vollgestopft mit den prächtigsten chinesischen Waren: Johnny-Walker-Flaschen-Wecker, Plastikfinger als Badezimmerhaken, ja selbst die lang vermissten "frischen Eier aus Käfighaltung" führt man hier. Betrieben wird der Markt aber hauptsächlich von Vietnamesen, die so klingen, als seien sie direkt aus dem Ruhrgebiet eingewandert. Sie sagen alle "datt" und "watt".
So bleibt die beste Methode der China-Sehnsuchtsbekämpfung, ganz einfach durch die Berliner Straßen zu schlendern, sich wie zufällig an asiatisch aussehende Menschen heranzupirschen und ihre Gespräche zu belauschen. Die Chance, dabei auf Mandarin sprechende Chinesen zu treffen, ist nicht schlecht, denn die Festlandchinesen haben, wie die Berliner Morgenpost soeben meldete, im Mai die Japaner als größte Gruppe unter den asiatischen Berlinbesuchern überholt; in diesem Monat besuchten bereits über 5.000 von ihnen die Hauptstadt.
Ich jedenfalls hatte neulich sofort Glück, als ich mich einer asiatisch aussehenden Frau und ihren zwei Kindern im Volkspark Schöneberg näherte. "Kan! Xiao tuzi!", rief die Mutter und wies damit ihre Kleinen auf ein paar Kaninchen hin, die über eine der Wiesen hoppelten. Ich freute mich fast schimmelig, und das nicht nur aufgrund der vertraut klingenden Vokabeln. Ich dachte auch daran, wie viel zukünftige Entwicklung in dieser bukolischen Szene lag. Denn die voraussehbare Rolle von Deutschland und dem Rest Europas wird wohl die eines großen Freizeitparks sein, in dem chinesische Mütter ihren Kindern Sachen zeigen, die es in chinesischen Städten nicht mehr gibt. Dann wird man mich wohl noch etwas öfter im alten Deutschland sehen.
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