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Die WahrheitGrüne Hölle Nürnberg

Die Bundesagentur für Arbeit macht Gastarbeiter jetzt mit eiserner Härte fit für den deutschen Arbeitsmarkt.

Als Erstes müssen die Südländer lernen, in Reih und Glied zu stehen - wie jeder deutsche Arbeitnehmer. Bild: reuters

Stavros Nikolaidis sprintet schnaufend um die Biegung des Waldweges und hechtet hinter einen Baum. "Ich hab nicht viel Zeit!", sagt er gehetzt und in erstaunlich gutem Deutsch. "Die lassen uns nie länger als eine Pinkelpause lang aus den Augen." Hastig blickt er über die Schulter und beginnt seine verhängnisvolle Geschichte.

"Es war vor etwa drei Monaten, da sah ich die Anzeige in der griechischen Zeitung. Ich weiß noch ganz genau, was da stand: ,Leichte Arbeit, viel Geld. Komm nach Deutschland und bring ruhig die Familie mit.'" Und so geschah es, Stavros packte seine sieben Sachen und meldete sich im Rekrutierungsbüro. Drei Tage später saß er mit 50 anderen in einem klapprigen Bus nach Deutschland - allerdings ohne Familie, ohne Geld und ohne zu wissen, was ihn erwarten würde. Nun ist der gelernte Taxifahrer Stavros einer von 4.000 angehenden Gastarbeitern, die gerade in einem fränkischen Wald nahe Nürnberg interniert sind und mit militärischer Härte fit gemacht werden sollen für den deutschen Arbeitsmarkt.

Plötzlich schreckt Stavros hoch. "Was war das?" Er blickt sich unruhig um. "Da war doch ein Geräusch!" Doch zu spät, ein kräftige, mit herausquellenden Adern übersäte Hand packt ihn am Kragen. "Hammwa dich, Burschi!", röhrt ein vierschrötiger Aufseher in grüner Tarnkleidung und zerrt Stavros brutal weg. "Sagt meiner Frau, dass ich sie liebe - und dass der Scheck etwas später kommt", ruft er noch, dann fällt ihm der Schleifer lachend ins Wort. "Hahaha, viel später. Etzad gehts erst a mal ins Loch!"

Aber nicht nur Stavros hat sich seinen Einstieg in die deutsche Arbeitswelt ganz anders vorgestellt, zahlreiche seiner Leidensgenossen im Arge-Bootcamp sehnen sich bereits zurück in das beschauliche Hängematten-Dasein ihrer Heimatländer. Tausende Griechen, Spanier, Portugiesen und Iren hat man hier zusammengepfercht, um ihnen deutsche Disziplin und Ordnung einzubläuen. Horst M., ehemals Drill-Instructor in der "grünen Hölle von Nürnberg", wie sie das Camp scherzhaft nennen, ist gegen etwas Schmiergeld und die Zusicherung von Anonymität bereit, auszupacken.

"Ich stehe auch jetzt noch voll hinter der Sache, es kann ja schließlich nicht angehen, dass wir uns Korruption, Faulheit und Schludrigkeit ins Land holen. Diese südländischen Faulpelze brauchen nur eine harte Hand und etwas Führung, dann werden sie gute deutsche Arbeiter!", erklärt er bei einer gut gekühlten Flasche Korn in seiner Lieblingskneipe nahe dem Camp. "Aber dann haben die Weicheier von der Arge mich rausgeschmissen - weil ich übers Ziel hinausgeschossen sei. Dabei weiß jeder, dass Stromschläge extrem disziplinierend wirken!" Dann lächelt Horst wieder und reibt sich den Bauch: "Aber ich hab ja meine Pension schon sicher!"

"Ehre, Disziplin, Leistung …", hört man es von draußen hereinschallen. "Ah, Nachschub!", freut sich Horst und steht auf. "Die schau ich mir an." An der Spelunke fährt ein Bus mit spanischem Kennzeichen vorbei. Links und rechts der Campeinfahrt stehen große Lautsprechertürme, die in ohrenbetäubender Lautstärke deutschen Tugenden verkünden. "Pünktlichkeit, Treue, Sauberkeit …" Fünfzig Meter weiter hält der Bus an einer Rampe an, und ein Einsatztrupp stürmt das schaukelnde Vehikel. Die verängstigten Spanier werden herausgetrieben und müssen sich in einer Reihe aufstellen, während ein stocksteifer Mann mit schneeweißem Schnurrbart auf und ab stolziert.

"Das ist Wilhelm, guter Mann! War früher Feldwebel unter mir", murmelt Horst. Wilhelm setzt derweil zur Begrüßung an: "Na, wo kommen wir denn her? Spanien, soso! Euch werden wir die Hörner schon noch abstoßen, ihr Toreros!" Dann schließt sich knarrend das eiserne Tor am Eingang und übertönt das Gewinsel der spanischen Gastarbeiter. Außen steht "Achtung, Hochspannung!" auf einem Schild. "Meine Idee!", freut sich Horst und verschwindet mit der Pulle Korn in der Hand wieder in der Kneipe.

Düstere Abgründe hat die Arbeitsagentur aufgetan - und dies nur für den Erhalt von Wohlstand und Reichtum in Deutschland. Die Opfer dafür sind zwar groß, aber eine glückliche Fügung sorgt dafür, dass sie wieder einmal andere zu bringen haben. Arme Seelen wie die des Stavros aus Athen, dessen Schluchzen von den kahlen Wänden seines dunklen Verlieses erstickt wird. Aber auch für ihn gibt es Hoffnung. Nächste Woche beginnt endlich sein neues Leben als ehrenwerter deutscher Arbeiter. Und dabei hat er richtig Glück gehabt, er wird Gabelstaplerfahrer in einem Hochregallager in Schweinfurt.

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1 Kommentar

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  • G
    Gallier

    Wie wäre es denn, wenn man deutsche Auswanderer in die USA dort erst mal als Aktivteilnehmer an einem Rodeo teilnehmen liesse, so als Eingewöhnung in die US-amerikanischen Verhältnisse was Soziales und Arbeit angeht.