Die Wahrheit: Schüchterne Superhelden mit Reizdarm
Manchmal hat eine Wirtschaftskrise lustige Folgen. Weil die britische Regierung bei der Polizei sparen muss, helfen sich die Bürger selbst. ...
... Sie werden zu Superhelden. Der Fernsehsender Channel 4 stellte eine Handvoll von ihnen am Freitag vor - zum Beispiel den "Finsteren Spartaner", der bei eBay eine altgriechische Rüstung samt Helm ersteigert hat und in diesem Outfit die Straßen des Seebades Torbay patrouilliert. Der 27-Jährige arbeitet tagsüber als Finanzberater. Weil seine Frau sich Sorgen um ihn machte, hat er einen Mitstreiter aufgetan: das "Schwarze Nichts", das sich als Spiderman verkleidet. Allerdings leidet es am Reizdarmsyndrom, das sich bei Stress bemerkbar macht. Mit anderen Worten: Wenn es gefährlich wird, scheißt sich das Nichts ins Kostüm.
So weit ist es bisher jedoch noch nie gekommen. Obwohl die beiden Superhelden seit Monaten dreimal die Woche auf Tour gehen, ist ihnen noch nie ein Verbrecher begegnet - nicht mal ein kleiner Handtaschendieb. Die verhinderten Straftatenvereitler gehören der "Justice Union" an, einem Zusammenschluss britischer Superhelden nach Vorbild der USA. Dort gab es bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts selbsternannte "Superheroes" wie den "Fuchs", einen zwielichtigen Umweltaktivisten, oder "Captain Sticky", einen fetten Ordnungshüter in knallbunter Wurstpelle. Anders als in den USA muss sich die britische "Justice Union" bei der Wahl ihrer Hilfsmittel auf Taschenlampen und Ferngläser beschränken. Der 33-jährige Ken alias "The Knight Warrior" aus Yeovil in Somerset benutzt allerdings Rauchbomben und versteckt sich im Gebüsch, um Autoknackern aufzulauern. Der 17-jährige Kieran aus Billingham trägt dagegen lediglich eine Augenmaske. Er nennt sich "Noir". Das sei französisch und bedeute "schwarz", erklärte er den Fernsehzuschauern. Er hatte in der Zeitung gelesen, dass in seiner Gegend eine 15-Jährige überfallen worden war, und wollte den Täter finden. Allerdings war er zu schüchtern, Leute nach der Adresse des Mädchens zu fragen, sodass er seine Mission abbrechen musste. Die Dokumentarfilmer sollten sich schämen, den Möchtegern-Superhelden so vorzuführen.
Auf die Frage nach ihrer Motivation antworten die kostümierten Helden, dass sie etwas für die Gesellschaft tun wollen. Ist es das, was Premierminister David Cameron meinte, als er im Februar sagte, es sei nicht unmöglich, seine Pflicht zu tun und gleichzeitig eine Mission zu verfolgen, um dieses Land besser, stärker und schöner zu machen?
Törichterweise hat Cameron die Bevölkerung zum Mitregieren aufgerufen. Seit Donnerstag kann jeder per Internet-Petition Themen ansprechen, mit denen sich das Parlament beschäftigen muss, sobald 100.000 Unterschriften zusammengekommen sind. Umgehend sammelten die Rechten eifrig Stimmen für die Wiedereinführung der Todesstrafe, was auch einige Abgeordnete unterstützen. Das wäre doch eine Aufgabe für den "Finsteren Spartaner": Er sollte diese Knalltüten ins "Schwarze Nichts" schicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung