piwik no script img

Die WahrheitSchanghaier vom Dienst

Freiwillige vor! Die neue Rekrutierungsoffensive der Bundeswehr.

"Hier noch mal dabei sein, hier noch mal mitfahrn. Die nächste Fahrt geht rückwärts", hört man Oberstleutnant Hartwigsen launig ankündigen, doch als sich die 62 Tonnen seines "Leopard zwo" schließlich in Bewegung setzen, erfüllt nur noch ohrenbetäubendes Knirschen, Schreddern und Kreischen die Halle. Der katholische Singkreis Oppenried wird im nächsten Jahr wohl einen neuen Stand brauchen, eventuell sogar einen neuen Vorsitzenden.

Die Bundeswehr ist unüberhörbar in die Offensive gegangen. Und das durchaus mit Erfolg, denn ihr Biwak hat sich auf der am Wochenende in Berlin zu Ende gegangenen Jugendmesse "YOU" als Publikumsmagnet erwiesen, was freilich auch daran liegen könnte, dass es mittlerweile der einzig verbliebene Stand in der Halle ist, sofern man angesichts der Sandsack- und Erdwallarchitektur überhaupt von einem Messestand sprechen kann.

Nur die beiden Mitglieder der "Scrabblejugend Ruppichteroth" trotzen der militärischen Übermacht und legen ungerührt ihre Buchstaben auf das Brett, während um sie herum ein Inferno aus Dieselqualm und Detonationsgeräuschen tobt: "Schnuppertage" nennt die Bundeswehr das.

"Wir müssen die Jugendlichen da abholen, wo sie stehen", umreißt OTL Hartwigsen das neue Rekrutierungskonzept und macht sich kettenklirrend auf den Weg zur Kletterwand, auf der sich zahlreiche junge Messebesucher in Sicherheit wähnten, bis sie von einer Einheit Gebirgsjäger vom Gegenteil überzeugt wurden.

Udo Hartwigsen ist Mitglied der "Operativen Truppe für Offensive Rekrutierungswerbung (OpTrOffRew)", die im "Zentrum für Transformation der Bundeswehr (ZTransfBw)" in Zeuthen bei Berlin angesiedelt ist. Gemäß ihrer Direktive "Infiltrieren - Akquirieren - Kasernieren" soll diese Sondertruppe potenzielle Rekruten in ihren Lebenswelten aufstöbern und für den Soldatenberuf begeistern. "Wir sind weit hinter den feindlichen Linien aktiv, zum Beispiel in Jugendzentren oder an Bushaltestellen. Sogar eine komplette Tanzschule haben wir jüngst ausgehoben."

Eine ungewöhnliche Aufgabe für einen alten Haudegen wie Hartwigsen, zumal die Männer der OpTrOffRew per Dienstanweisung dazu angehalten sind, "jugendliche Lockerheit" zu verbreiten.

"Der Drill war erbarmungslos, bis zur völligen Erschöpfung haben wir ordnungsgemäßes Grüßen geübt", erinnert sich Hartwigsen, dem gleichwohl ein gewisser Respekt vor den komplizierten Begrüßungsritualen der HipHop-Kultur anzumerken ist. Der Oberstleutnant trägt denn auch heute Baggypants in Natogrün und einen lose aufsitzenden Baseballhelm, dessen Schirm akkurat nach drei Uhr ausgerichtet ist. Rangabzeichen und Schulterstücke sind im HipHop-typischen Bling-Style gehalten, die Erkennungsmarke prangt strassbesetzt auf der Brust.

"Zu Rollenspielertreffen laufen wir aber auch schon mal in Kompaniestärke mit Langbogen und Elfenkostüm auf", erklärt Hartwigsen mit verbissenem Stolz. Dem Mann ist anzumerken, dass er gewillt ist, den bislang schleppenden Aufbau der Freiwilligenarmee mit allen Mitteln zu beschleunigen, ganz so, wie es der bundeswehrinterne Leitfaden "Freiwilligkeit - Militärisch interpretiert" vorsieht.

Doch mittlerweile regt sich auch Widerspruch gegen die neuen, psychologisch ausgefeilten Rekrutierungsmethoden. Von Manipulation ist die Rede, gar von Druck und Täuschung.

"Hier etwa ruft die Bundeswehr im Internet zur kostenlosen Teilnahme an einem Adventure Game auf", gibt der Journalist Eugen Himmelrodt ein Beispiel. "Erst im Kleingedruckten wird klar, dass es sich nicht um ein virtuelles Spiel, sondern um einen ganz realen Auslandseinsatz handelt."

Himmelrodt, der zuvor als Verbraucherjournalist über kriminelle Kaffeefahrten und Drückerkolonnen berichtet hat, ist entsetzt: "Mir persönlich ist der Fall einer Berufsschulklasse aus Herne bekannt, die mit zwei Wochen Party in Lloret de Mar geködert, stattdessen aber zu dreiundzwanzig Monaten Kaserne in Köthen abgeliefert wurde. Vom Ambiente sind beide Orte für den Laien kaum zu unterscheiden", erklärt der Journalist. "Und als der Schwindel aufflog, war die Grundausbildung längst gelaufen. Die meisten sind geblieben."

Der engangierte Verbraucherschützer warnt: "Viele Partys mit sogenanntem Flatrate-Saufen, die vor allem von Männern in wehrfähigem Alter frequentiert werden, sind nichts weiter als getarnte Rekrutierungsveranstaltungen", meint Himmelrodt. "Wer fünfzehn Wodka-Red-Bull schafft, erhält eine Überraschung", zitiert er einen Flyer. "Sie können sich ja denken, was den Gewinner dort erwartet."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • T
    Tötenfürdenfrieden

    Vielen Dank. Großartig - ich habe Tränen gelacht. Die beste Wahrheit seit "Ein Kumpel als Diktator", die ich immer noch gerne lese und jedes Mal auf's Neue lachen muss. Shanghaier vom Dienst wird auch so ein Klassiker werden.

  • BM
    Barbara Majd Amin

    Hat der Journalist etwa nicht mitbekommen, dass es auch Protest gegen diesen Bundeswehr-Humbug in der Halle "Education" gab? Großartig die Jugendlichen, die da mit einem "Die-in" gegen das Werben fürs Sterben protestierten.

  • VS
    Vangelis Salatios

    Muahahaha... Wir brauchen unbedingt eine Langbogenkompanie bei den Gebirgsjägern!