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Die WahrheitWeltmanns Ansichten: Abstrakte Kunst

Kolumne
von Jan Ullrich

Wie der Name schon verrät: abstrakte Kunst ist nicht immer gleich abstrakte Kunst. Das erkennt man schon an der Strichführung...

Abstrakte Kunst: Transpirationsrückstände in Käsewürfeln. Bild: imago

..Ein einfaches Tischtuch eignet sich eben nicht immer als Bettvorleger, um nur ein Beispiel zu nennen. Am Ende steht doch immer der Gedankenstrich -

Die Halbheit ist der Gegengott des Sudoku. Welche Bedeutung hat das für die abstrakte Kunst? Eine toastende Bergziege in einer Handtasche durch ein Lampengeschäft getragen scheint dem Realismus doch allzu sehr verhaftet zu sein. Aber einen Schreibtisch literarisch in den sogenannten Griff zu bekommen, ist schon etwas.

Transpirationsrückstände in Käsewürfeln, kooperatives Gelhaar, elaborierter Pudding für Zweitverwerter - die abstrakte Kunst hat die Phase konzentrierter hypothetischer Spargelsuppe mit einem Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit überwunden.

Die Anschauung des Endlichen ist eine endliche Anschauung. Aber für den Moment ist es in Ordnung. Das gilt auch für Barockmalerei oder das kunstvoll mit Fisch gebügelte Unterzeug.

"Ich esse gern Eis und Marzipan. Wenn das Tiere sind, dann bin ich wohl kein Vegetarier", gesteht Hölderlin in seinem "Pathos des Monats" im September 1805. Er spricht damit ein Grundproblem abstrakter Kunst an, das in dem geflügelten Wort "Wo ich bin, ist Montag!" im Kanon der ästhetischen Reflexion verewigt wurde.

Später sollte Hölderlin seine Gedanken in Pferd und Mond, der Zeitschrift für esoterische Paarhufer, selbst kommentieren mit den Worten: "Es war nicht alles schlecht, was ich geschrieben habe."

"Eine Gardine für alle Delfine", "Textraum-Impfungen für Strümpfe" und "Wer hat die Nase von Nora Tschirner gerichtet?" - dies sind nur drei Beispiele dafür, wie vielfältig abstrakte Kunst heutzutage sein kann.

Das gilt genauso für "Tobsucht ist eine andere Form von Symmetrie", "Ohren sind keine Taschen", "Dortmund hilft auch als Tee, Düsseldorf als Creme" sowie "Würfel werden überschätzt". Man kann vom Leben eben mehr verlangen als ein sorgfältig geschmiertes Butterbrot.

"Woher wissen Sie, dass meine Schuhe nach Bratwurst schmecken", konterte Giacomo Balla diesen Gedanken einst kühn im Gespräch mit sich selbst. Später konzentrierte er sich auf eine fünfbändige Ausgabe zum Reduktionismus und den Vorsatz, ein Pferd zu röten. Er sollte damit Vorbild bleiben für alle, die es sich in Raum und Zeit gern gemütlich machen. "Es ist immer gut, etwas zu tun zu haben, dann ist man jedenfalls beschäftigt."

Das Sein ist das Nicht-Sein des Nicht-Seins. Muss eine Brotdose aber deshalb immer aus Brot bestehen? Und nicht aus Quark oder einer schnellen Entscheidung? "Wahrnehmungserlebnisse können Sätze begründen, deren Evidenz unmittelbar klar ist", heißt es in den Paulusbriefen.

"Ich gehöre meinen Möbeln", erklärte Malewitsch darauf selbstbewusst, ohne dass ihm jemand widersprach und er ein "Duft brauche ich nicht!" hinterherschicken konnte. Das Ganze ist immer weniger als die Summe der einzelnen Teile.

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2 Kommentare

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  • H
    HU-Zeit

    "Er spricht damit ein Grundproblem abstrakter Kunst an, das in dem geflügelten Wort "Wo ich bin, ist Montag!" im Kanon der ästhetischen Reflexion verewigt wurde."

    Da freue ich mich doch sehr, daß meine Malerei gegenständlich-surrealistisch ist und sei: Wo ich bin, ist immer Samstag Nachmittag, kurz bevor die Strandlokale schließen! (Mit Dank an D. Adams)

  • EL
    Edgar Lösel

    "Fanfaren, wir brauchen Fanfaren", soll Dali einmal gesagt haben. Dem Kantigen war er da längst abhanden gekommen. Schründe solten sein Leben zeichnen. Aber Schründe sind Tiefen im Tal der Metaphysik. Und da möchte man sich nicht verirren. Gurkensalat hat dagegen Vorzüge, die er aber meistens für sich behält. Den Egoismus von Gemüse hat auch Beuys stets links liegen gelassen. Aber der brauchte ja auch keine Fanfaren. Oder Trompetenblumen?