Die Wahrheit: Abgenagte Banker
"Die Finanzkrise - Fluch oder Segen?" Diese Frage stellte im Herbst 2008 die linksliberale Frankfurter Rundschau, woran sich sicherlich der ein oder andere Leser erinnert...
... Die richtige Antwort, Ja oder Nein, konnten die Politiker, Wirtschaftsexperten, Journalisten und Menschen drei Jahre lang nicht finden, da jede Maßnahme, um die Krise beizulegen, den Nachteil hatte, sie zu verschärfen. Unter der Schlagzeile "Teufelskreis am Scheideweg" brachte die bekannte Hamburger Wochenzeitung Die Zeit, wie die meisten bestimmt noch wissen werden, jenes "nicht hoch genug zu hängende Dilemma" der Europäischen Union und der "Zeit" auf den Punkt, "wählen zu müssen zwischen der Hydra der Banken und dem Menetekel des Euro, das sich zu einem schwerwiegenden Damokles hochschaukeln könnte."
Unter ihren Schulden zusammenbrechende Staaten, infolge des Sparkurses ihrer Regierungen verhungernde Bürger - alles schien damals den normalen Weg zu gehen. Doch dann nahm die Debatte bekanntlich einen unerwarteten Verlauf. Es war ein Gastessay im Spiegel, der einen neuen Gesichtspunkt in die Diskussion einbrachte: "Der europäische Citoyen sieht die Banker in den Bürofenstern, die, feixend und mit dem Finger auf die Demonstranten der Occupy-Bewegung zeigend, einander mit Champagner zuprosten", schrieb Hans Magnus Enzensberger in der Ausgabe vom 31. 11. 2011, "und er fragt sich und die hohe Politik, ob es nicht angezeigt wäre, statt der Banken die Banker zu zerschlagen. Too big to fail werden sie kaum sein."
Die Berliner Tageszeitung taz griff alsbald die nur scheinbar skurrile Idee auf, gab aber zu bedenken, dass die zahlreichen Aktivisten im Graubereich staatlicher Duldung bei fehlender gesetzlicher Regelung agierten. Ein für beide Seiten, Bürger und Banker, Staat und Finanzwirtschaft, tragbarer Kompromiss könne darin bestehen, argumentierte das Blatt, sämtliche Bankangestellten vorerst auf Hartz IV zu setzen: also ihr Gehalt, ihre Boni und ihr Privatvermögen bis auf den Regelsatz in die Sozialsysteme zu transferieren, ihre Häuser, Grundstücke, Autos und Ehepartner zwangszuversteigern und den Erlös für die Schuldentilgung der europäischen Partnerländer zu verwenden.
Damit schien eine einvernehmliche Lösung gefunden - bis in der Fernsehtalkshow "Drei nach neun" Sahra Wagenknecht ihren bis heute legendären Auftritt hatte. "Ich will jetzt nicht den Namen Stalin in den Mund nehmen", sagte die Linkskommunistin, "aber ich darf wohl an seinen bis heute nicht ernsthaft diskutierten, aber ungebrochen aktuellen Vorschlag erneuern: 1945 hatte der berühmt-berüchtigte Politiker angeregt, einfach 50.000 Nazis umzulegen, um den braunen Sumpf ein für alle Mal auszuräuchern. Wollen wir jetzt", fragte sie, "ein zweites Mal untätig bleiben und uns dann 60 Jahre später wundern, dass es noch immer unbelehrbare Banker gibt?"
Die Empörung war groß, als führende Meinungsblätter wie die Süddeutsche Zeitung dieses Projekt reflexhaft abtaten. "Es darf keine Denkverbote geben!", brachte die Werra-Rundschau aus Eschwege die unter den Menschen in der Bevölkerung herrschende Meinung auf den Punkt. Geschickter als die SZ agierte daraufhin das Düsseldorfer Handelsblatt, indem es einwarf, es gebe in Deutschland vielleicht gar keine 50.000 Banker.
Die Debatte schien sich in Details zu verzetteln. Doch dann nahm der ARD-Literaturkritiker Denis Scheck in seiner Büchersendung "druckfalsch" Rekurs auf den irischen Aphoristiker Jonathan Swift und stellte die rhetorische Frage, ob Banker essbar seien. Dann nämlich könne man sie problemlos an die Armen und ihre Kinder verfüttern.
Der Vorschlag, die Börsenmakler, Fondsmanager und Kundenberater nicht zu zerschlagen, sondern zu zerstückeln und portionsgerecht in den Einzelhandel zu bringen, stieß nicht nur in der Lebensmittelindustrie, sondern auch in der Bevölkerung auf breite Sympathie: "total okay" fand das zum Beispiel, in einem Internet-Chat mit Ernährungsministerin Ilse Aigner, "superlittleasshole": "das iist echt echt eine so okaye idee einem herren wie der ackermann von den deutschen bahn mus man echt dsa Ffleixhc von sein body abspotlut fett von ddn knochen schehlen!!!"
Ähnlich äußerte sich Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung: "Auch Banker müssen ihren Teil zur Lösung der Krise beitragen. Das wird die Realwirtschaft beleben, die Binnennachfrage stärken und vor allem den Geschäftsklimaindex ankurbeln." FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher stimmte in den Chor der Unterstützer ein: "Was ist die Gründung einer Bank gegen den Verzehr eines Bankers?", zitierte er sogar Bertolt Brecht. Und als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel die Zeichen der Zeit erkannte und dekretierte: "Zum Verspeisen der Ackermänner gibt es keine Alternative", war die Krise schnell gelöst und der Sumpf ein für alle Mal ausgeräuchert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs