Die Wahrheit: Wikileaks aus Neuseeland
Julian Assange, kannst du nachts noch schlafen vor Gewissensbissen? Ich rede nicht von den Vergewaltigungsvorwürfen.
J ulian Assange, kannst du nachts noch schlafen vor Gewissensbissen? Ich rede nicht von den Vergewaltigungsvorwürfen. Sollen das doch die Schwedinnen entscheiden. Viel schwerer wiegt: Du hast einer kleinen, feinen, vorzeigbaren Nation das Messer in die Volksseele gestochen. Wir bluten, weil du so ein toller Aufklärer bist. Deinetwegen fühlen wir uns mal wieder wie ein Nichts. Wie eine Lachnummer.
Vor zwei Jahren besuchte Hillary Clinton auf ihrer Pazifiktour Neuseeland. Ein Riesenbohei – Premierminister John Key nannte sie aus Versehen gar „Präsidentin“. Man verstand sich blendend und unterzeichnete eine Art Friedensabkommen, atomtechnisch sicher nicht verkehrt. Clinton pries die Kiwi-Connection als „stärkste Beziehung in 25 Jahren“, und Key pries die Amis. Alles in bilateraler Butter, wenn da nicht die Superhirne des Thinktanks Stratfor wären. Diese Schatten-CIA und ihre gehässigen E-Mails.
Dank Wikileaks wissen wir nun, was Washington wirklich von seinen Freunden in der Südsee hält: ungefähr so viel wie von einem Sack Äpfel, der auf einer Farm in Timaru umkippt. In den jetzt frisch geleakten Geheim-E-Mails schreibt ein Oberanalytiker, dass Neuseeland zwar ein „Verbündeter“ sei und Spaß könne man dort auch haben, aber ansonsten sei das Land „strategisch nicht von Bedeutung“. Ein australischer Stratfor-Experte lässt sich über das Handelsabkommen der Kiwis mit China aus und umreißt kurz die komplizierte Lage in Fidschi und Umgebung: „Ich verstehe nicht, warum sich irgendjemand einen Dreck um Polynesien schert.“ Er ganz sicher nicht: „Wenn es um geopolitische Bedeutung geht, geht es kaum noch fucking tiefer als NZ.“ Das F-Wort wird in der großen Politik gern eingestreut. „Sie haben kaum Luftwaffe. […] Was für einen strategischen Nutzen hat dieser kleine Flecken der Welt für fucking irgendwen?“
Tja, gute Frage. Die stellen wir uns hier jeden Tag in Lyttelton. Der Hafenvorort von Christchurch war das Epizentrum des schweren Erdbebens. Statt historischer Altbauten haben wir Ruinen, Baulücken und Katastrophentouristen. Vor zwei Wochen, zum Jahrestag des Infernos, schaute der konservative Premierminister persönlich vorbei. Mutig, denn der Ort wählt überwiegend links bis grün, und das gebeutelte Christchurch hat Regierung und Stadtverwaltung satt. Key ließ sich die Trümmer entlangführen, sagte etwas Aufmunterndes, bekam ein Stoffherz angesteckt und trank in der aus alten Schiffscontainern errichteten Porthole Bar ein Bier.
Dank Wikileaks wissen wir nun, welche Bedeutung der Staatsbesuch in Lyttelton wirklich hatte. Die Strategen der Insidercafés, der konspirativen Kleinkindgruppe und der Gemüsetauschbörse stehen in geheimem E-Mail-Kontakt. „Warum hat ihm nicht jemand das Bier über den Kopf gekippt?“, fragt ein Beobachter. In einer anderen Depesche geht es um das Szenecafé Samo. Dort hängt eine Dartscheibe mit einem Foto von John Key. „Dammit. Das nächste Mal JK dort Kaffee spendieren“, lautet die vernichtende Analyse. „Fucking Anfänger!“
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